Artist Ausgabe Nr. 136

Portraits

Julia Scher | Michael Rakowitz | Hannah Villiger | Mona Kuhn | Claudia Wieser

Page

Hannah Wolf

Edition

Hannah Wolf

Essay

Links: Roland Schappert: o. T. [Tier] 2023, Ölfarbe auf Papier, 51 x 44 cm
Rechts: Roland Schappert: o. T. (Variation von o. T. [Tier], 2023 mit DALL·E 2), 2023,
Ölfarbe auf Papier, 51 x 44 cm; © R. Schappert und VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Textauszug

Geniale Bilderfluten
Viele Künstler:innen fragen sich seit Ende 2022, wie man die neuen Text-zu-Bild-Generatoren, die uns Unternehmen für Künstliche Intelligenz (KI) beschert haben, sinnvoll nutzen kann. Einige Kreative verloren sich zwischenzeitlich in der schier unerschöpflichen Welt neuer Texteingaben, die blitzartig den ehrenwerten Übergangsberuf des Prompt-Designers ins Leben rief.

Professionelle Akteure der Kreativbranche befinden sich derzeit in einem Dilemma. So befürchten einige von ihnen, dass Text- und Bildgeneratoren in absehbarer Zukunft durch Automatisierung, Potenzierung der Rechenleistung und mögliche stilistische und ikonographische Eigenleistungen der KI die menschliche Kreativität und ganze Berufsfelder mit kostengünstigen Angeboten ersetzen könnten. Als Argument wird angeführt, die neuesten Entwicklungen der vortrainierten Sprach- und Textgeneratoren, Chatbots wie ChatGPT, hätten 2022 oder spätestens mit der aktuellen Version vom Mai 2023 die prinzipielle Ersetzbarkeit menschlicher Kreativität schlagartig vor Augen geführt – obwohl diese Versionen immer noch zu Halluzinationen neigen und die Funktionsweise der Algorithmen sowie die Trainingsmethoden der lernenden Systeme für die Allgemeinheit weitgehend undurchschaubar bleiben. Innovationsenthusiasten erfreuen sich dagegen an den neuen digitalen Tools, die sie als nützliche Hilfsmittel erachten, um den persönlichen kreativen Output und die Kontrolle über die Arbeitsergebnisse zu erhöhen bzw. zu stärken. Nach ihrer Meinung verlagern sich die Arbeitsfelder in strategischer Hinsicht dahingehend, dass stupide handwerkliche Tätigkeiten in Zukunft von KI unterstützten Software- Anwendungen und Computern übernommen werden, um dadurch Zeit einzusparen, die den eigentlichen konzeptuellen und kreativen bis künstlerischen Tätigkeiten zugutekommt.

»Insgesamt wird die Frage nach der künstlerischen Handschrift komplett neu gestellt. Ist das Einzelbild dem Zufall unterstellt, eines von unzähligen Versuchen endloser Geschichtenbildung, seiner Vervollkommnung unaufhörlich ausgesetzt, dem Wandel der Zeit und der Entwicklung der Technik unterlegen oder geistiges Eigentum von Softwareproduzent:innen? Woran merkt man, dass ein Bild aus der Maschine kommt?«

Weitere bekannte Fragen schließen sich derzeit an: Bezieht sich Kreativität allgemein auf die Erschaffung von etwas Neuem – oder reicht eine inspirierende Kombination des Alten, schon Vorhandenen? Bedarf es spezieller Tools, Fähigkeiten oder gar Talente – oder lässt sich Kreativität demokratisch, chancengleich und weltoffen begreifen, so dass sie keinen elitären Zugangsbeschränkungen unterliegt? Verstehen wir die Kompositionsregeln und Produktionsweisen menschlicher Kreativität, die zu Kunstwerken führen? Lässt sich das alles nachvollziehen, beschreiben und nachahmen? Wenn dem nicht so ist, warum sollten wir dann von künstlich erzeugter Kreativität anderes verlangen und uns nicht mit der Blackbox-Mentalität maschineller Bildgebungsverfahren zufriedengeben?

Roland Schappert