Artist Ausgabe Nr. 51

Portraits

Beate Gütschow | Bernhard Martin | Jeppe Hein | Markus Selg | Clay Ketter | Sophie Calle

Interview

Christoph Keller

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Dieter Froelich

Künstlerbeilage

Andreas Karl Schulze

Interview

Textauszug

Christoph Keller
J.K.: Sie haben Kunstgeschichte und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert, darüber hinaus Medienkunst, Kunstwissenschaft und Philosophie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Zunächst waren Sie Künstler und haben 1999 im Alter von 30 Jahren den Verlag »Revolver - Archiv für aktuelle Kunst« gegründet. Wie vollzog sich die Entwicklung zum Verleger?

C.K.: Wie so vieles in einem von generationsbedingter Schizophrenie geplagten durchschnittlichen Lebensabschnitt ist dieser Rollenwechsel, den ich aber keinesfalls als Seitenwechsel empfunden habe, schleichend, zufällig und unbewußt verlaufen. Von 1993 bis 1998 habe ich mit einem Partner unter dem Pseudonym »Laurids & Mattheus« (einem Überbleibsel des »Instituts für angewandte Kunstkritik/ifak«) zusammengearbeitet. Gottseidank unter Pseudonym, denn wir haben miserable Kunst produziert, institutionskritisch, besserwisserisch bis hin zur Klugscheißerei. Unser größter Erfolg war vermutlich die Tatsache, daß bei einer Galerieeröffnung in Karlsruhe ein aufgebrachter Nachbar mit einem Luftgewehr auf uns geschossen hat. Es sind aber nur Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Während dieser Phase haben wir immer wieder mit befreundeten Künstlern zusammengearbeitet, unter anderem mit Korpys/Löffler, die mir eines Tages Fotografien einer konspirativen RAF-Wohnung, die sie dem LKA in Tübingen abgeschwätzt hatten, gezeigt haben. Ihre ästhetische Untersuchung der terroristischen Camouflage-Techniken war so interessant, daß ich mich im Übereifer dazu entschlossen habe, ein Buch damit zu machen, mehr noch: gleich einen Verlag zu gründen. Ich hatte bis dahin meinen Lebensunterhalt mit gelegentlichen Grafik-Jobs bestritten, das lag also nahe. Und wie das dann so geht, mit anderen befreundeten Künstlern konnte man auch Bücher machen, so sind dann im Laufe eines Jahres Publikationen mit Jonathan Monk, Nicolás Fernández, Bernd Krauß, Franz Ackermann, Daniel Roth und Peter Pommerer entstanden. Die Grundlage meiner Arbeit ist »Vermittlung«, wie sie auch sonst in Ausstellungen, Galerien und kunstkritischen Texten stattfindet. Hier findet sie in Buchform statt, angelegt an verschiedene Multiplikations- und Distributionspraktiken der 60er Jahre.

J.K.: Entspricht Ihr Projekt überhaupt der klassischen Verlagsarbeit?

C.K.: Nein. Die klassische Verlagsarbeit geht von dem Grundprinzip aus, daß einige ausgewählte Menschen herausragende Werke zu Papier bringen, die tausendfach gedruckt, tausendfache Leser und damit Käufer finden, so daß sowohl Verleger als auch Autoren von dem Erlös leben können. Ich denke, so müßte das Grundprinzip aussehen. Allerdings sieht die Realität des Kunstbuch-Verlagsgeschäfts ganz anders aus: hoch subventionierte Institutionen publizieren zu jeder noch so irrelevanten Ausstellung hoch subventionierte Kataloge und Publikationen und finanzieren so eine ganze Branche nebst Entourage (Grafiker, Autoren, Übersetzer). Man darf sich keine Illusionen machen, ebenso leben die »großen« Verlage von diesen Subventions-Töpfen, denn: Kunstbücher werden kaum verkauft. Auch nur die Produktionskosten einer Publikation wieder durch Verkäufe einzuspielen erscheint als höchster Wunschtraum der Zunft. Es konnte also kaum mein Ziel bei der Gründung von Revolver sein, ohne jegliche Kenntnis von Verlagswesen, Buchgestaltung und Betriebswirtschaft, ohne jegliches Kapital (außer dem geliehenen Geld von Freunden) und ohne jegliche Beziehungen, einen »Verlag« im klassischen Sinne aufzubauen. Das ist es auch heute nicht. Ich wollte und will künstlerische Positionen, die ich schätze, vertreten, vermitteln, vorstellen - genau wie Kuratoren oder Galeristen, nur mit anderen Trägern und anderen Organisationsmechanismen. Mit vielen Künstlern mache ich daher Folgeprojekte zu ersten Publikationen. So hat sich der Verlag mehr und mehr zu einer »Galerie in Buchform« entwickelt.

Joachim Kreibohm