vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 90

Portraits

Annette Wehrmann | Aernout Mik | Dirk Stewen | »Vor dem Gesetz...« | Marcel Dzama

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Claudia Kapp

Künstlerbeilage

Christopher Muller

Edition

Peter Böhnisch

Portrait

Kugeln, Backstein, vermauert, 45 - 56 cm Durchmesser, 1995, Foto: Dominik Friebel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Textauszug

Annette Wehrmann
Ein fast leerer Ausstellungsraum ist in dem Dokumentarvideo »Fussball«, 1991, von Annette Wehrmann zu sehen. Keine kunstmarkttauglichen Bilder hängen in diesem white cube an der Wand, keine wohlgeformten Plastiken stehen auf Sockeln, auch von Projektionen oder auf Monitoren gezeigter Film- und Videokunst keine Spur - auf dem Boden aber liegen angenehm kunstlose Fußbälle – zusammen gemauert aus Backsteinen. Außer diesen sieht man in der Dokumentation dann nur noch eine resolute junge Frau, es handelt sich um die Künstlerin selbst, die besagte Bälle mit ihren Füßen tretend durch den Raum bewegt.

Solche »Steine des Anstoßes«, im Herbst 2011 in der Hamburger Galerie Dorothea Schlüter unter dem Ausstellungstitel »Absolut der richtige Sport für mich« ausgestellt, sind eine typische Arbeit Annette Wehrmanns, ist doch diese im Video aufgezeichnete Aktion ästhetisch irgendwo und dennoch präzise angesiedelt zwischen lapidarer Skulptur, energiegeladener Performance und gesellschafts- und kunstbetriebskritischen Interventionen in situ. Dabei changiert diese Kunst stets zwischen metaphorisch aufgeladener und ebenso konkreter Formulierung mit prekärer Bodenhaftung. Genau diese Spannungsfelder charakterisieren der dynamisch wie engagiert widersprechenden künstlerischen Tätigkeit der 1961 geborenen und im Mai 2010 all zu früh verstorbenen und bis heute nicht ausreichend rezipierten Hamburger Künstlerin.

Einer breiteren Kunstöffentlichkeit ist Annette Wehrmann bekannt geworden im Rahmen der Münsteraner »Skulptur.Projekte 2007«. Für ihre Installation »Aaspa«, 2007, lies die Künstlerin einen Teil des Ufers des Aasees absperren, einem allseits beliebten innerstädtischen Naherholungsgebiet in Münster. Dort wurde dann eine »Baustelle« inszeniert inklusive Bauzaun, -geräten, -containern, -schildern etc.. Auf den Bauschildern wurde das Bauvorhaben der fiktiven »AaFit + Well AG« angekündigt, ein Wellness-Hotel »am See« nämlich solle auf dem abgesperrten Areal entstehen. Doch keinen bloßen Fake
inszenierte Wehrmann hier, sondern eine Inszenierung mit mindestens doppeltem Boden.

Raimar Stange