vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 90

Portraits

Annette Wehrmann | Aernout Mik | Dirk Stewen | »Vor dem Gesetz...« | Marcel Dzama

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Claudia Kapp

Künstlerbeilage

Christopher Muller

Edition

Peter Böhnisch

Portrait

Merry go round #2, 2011, Stahl, Holz, Aluminium und Motor, 165 x 198 cm, Installationsansicht Kunstverein Braunschweig, SAMMLUNG SCHNETKAMP, Courtesy Sies + Höke, Düsseldorf, David Zwirner, New York, Foto: Matthias Kolb

Textauszug

Marcel Dzama
Mit seinen Zeichnungen hat Marcel Dzama es in wenigen Jahren geschafft, zum Star und Liebling der aktuellen Kunstszene zu werden. Ihre formale Nähe zu Illustrationen von Kinderbüchern darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei ihnen um komplexe Gebilde handelt. Deutlich tragen sie die Spuren von Mythen und Märchen. So, wenn hybride Wesen sich unter die Bildprotagonisten mischen. Sprechende und herumspazierende Bäume, die sehr komisch sind, ohne ihre Wurzeln aber auch jeden Halt verloren haben. Oder Menschen mit Vogel-, Bären- und Krokodilköpfen, deren Rollen nicht eindeutig bestimmt sind. Nur so viel scheint sicher: Die Krokodilmenschen sind gefährlich, habgierig und verschlingend. Man muss ihrem Treiben Einhalt gebieten. Brigaden bewaffneter und uniformierter Frauen, die an Soldatinnen der Roten Armee denken lassen, übernehmen diese Aufgabe. An Russland und seine künstlerische Avantgarde am Beginn des letzten Jahrhunderts erinnern auch die Tuschen und Wasserfarben von Dzamas Zeichnungen, ihre Rot-, Schwarz, Grau- und Brauntöne. Ein Braun, dessen Farbe in all seinen Nuancen sich, wie man lesen kann, dem kanadischen Bier verdankt, das Dzama einmal versehentlich auf eines seiner Blätter verschüttete, um dabei seine Eignung als Malmittel zu entdecken. Schaut man auf die Choreografie der Zeichnungen möchte man meinen, Dzama habe sich für sie eine Maxime von Johann Nestroy zu eigen gemacht: »Einen Jux will er sich machen«.

Dahinter taucht indes nicht nur der eulenspiegelhafte Spaßmacher im Künstler auf und das spielfreudige Kind, sondern auch der Gesellschaftskritiker. Ganz so, wie wir das aus dem Dadaismus kennen, einer Kunstrichtung, der sich Dzama gleichfalls nahe fühlt. Ein Blatt von ihm, »Dada Dance« (2006), nimmt nicht nur durch seinen Titel Bezug darauf, sondern ist auch inhaltlich eine Hommage. Daneben ist der Surrealismus ein starkes Motiv seiner Kunst. Schon als Student in Kanada gründete Dzama zusammen mit Kommilitonen eine Künstlergruppe, die Royal Art Lodge, in der sie das Spiel des »cadavre exquis« praktizierten. Jemand zeichnete, schrieb oder dichtete etwas. Der nächste führte die Vorgabe auf demselben Blatt Papier fort, ohne sie gesehen zu haben usw. Das daraus resultierende disparate Neben- und Miteinander von Ort, Zeit, Handlung und Personen, bestimmt auch die Komposition der Zeichnungen von Dzama. Als habe er den Versuch unternommen, einen vielstimmigen »stream of consciousness« ins Bild zu setzen, wie ihn James Joyce in seinem großen Roman »Ulysses« ausgearbeitet hat. Ein Buch, das Dzama zusammen mit Dantes »Divina Commedia« zu seiner Lieblingslektüren zählt. Dabei helfen ihm seine unterschiedlichen Quellen, ein Pandämonium des Guten und Bösen zu entwickeln, das uns alle irgendwie angeht.

In seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland im Braunschweiger Kunstverein Salve Hospes in 2011 setzt Marcel Dzama in seiner Kunst zweierlei fort: Zum einen den tänzerischen, traumwandlerisch eleganten, leicht lässigen Aufmarsch seiner zum Aufstand und zur Machtergreifung bereiten jungen Frauen inmitten eines Bildkosmos, der noch heterogener, hybrider und disparater, mit einem Wort noch bunter aussieht als zuvor schon. Und zum anderen die in all seinen Arbeiten von Anfang an angelegte Theatralisierung seiner Kunst. Mit diesem Wesenzug seiner Werke findet sich Dzama an der Spitze einer neuen künstlerischen Bewegung. Zog die Affinität der Kunst zu Bühne und Narration in den Hochzeiten der Minimal Art und der Konzeptkunst beinahe automatisch ein klares Verdammungsurteil der Kritik nach sich, so hat sich die Situation heute grundlegend geändert. Fast scheint es, als könne man nach dem so genannten »linguistic turn«, einer Wende in der Kunst hin zum Denken und zur Sprache, und dem darauf folgenden »pictorial turn«, einem neuerlichen Zurück zu Bild und Malerei, nun von einem »theatrical turn« in der zeitgenössischen Kunst sprechen. Der beinhaltet, dass Spiel und Simulation erneut in hohem Ansehen bei den Künstlern stehen. Das Motiv des sich Exponierens und Darstellens ist von Beginn an da bei Dzama. Wir finden in seinen Zeichnungen häufig Artisten und Akrobaten, Bühne und Zirkus, aber auch den Filmset mit Regisseuren und Schauspielern in allen möglichen Rollen. Dazu passt, dass Marcel Dzama mit Regisseuren wie Spike Jonze zusammengearbeitet und Videos für Beck und Bob Dylan produziert hat. In philosophischer Betrachtung ist der Abstand zwischen Bühnenrolle und Lebensrolle gering. Wir erinnern uns an das berühmte Shakespeare Wort, das ganze Leben sei eine Bühne. Und an seine Behauptung: »Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.« Bei Friedrich Schiller verbindet sich die Vorstellung vom spielenden Menschen und vom spielenden Künstler.

Michael Stoeber