vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 112
Portraits
Michael Kienzer | Michaela Meise | Liz MagorInterview
Hajo Schiff u. Raimar StangePage
Stefanie von SchroeterEssay
Roland SchappertAusstellungen
La Biennale di Venezia 2017Edition
Katja AuflegerPortrait
Zeichnung Vol. 3, 2017, Edelstahl, Eisenbahnschiene, Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thomann, Wien, Foto: Tom Klengel
Textauszug
Michael KienzerErstmals widmet ein deutsches Museum dem Bildhauer Michael Kienzer eine Einzelausstellung. Die Premiere ist umso erstaunlicher, als der 1962 geborene Wiener zu den herausragenden und gefragtesten Künstlern Österreichs gehört. Kienzer präsentiert im Gerhard-Marcks-Haus einerseits für Bremen entstandene ortsbezogene Arbeiten. Zugleich gibt eine konzentrierte Werkschau einen Überblick über Skulpturen aus der jüngsten Zeit. So zeigt sich in der höchst sehenswerten Ausstellung eine in ihren unterschiedlichen Ansätzen kohärente Position, die Kategorien der klassischen Bildhauerei weiterverfolgt und wendet, Skulpturen offensiv und subtil auf ihre Raumwirkung hin befragt und mit den Strategien der Installation die Zwischenräume und Schnittstellen zwischen Skulptur und Architektur auslotet. Damit betritt Kienzer in originärer Weise das »erweiterte Feld der Bildhauerei« und gibt sich nicht zuletzt auf der Basis eines dezidierten Formvorrangs als aufmerksamer Beobachter gegenwärtigen Denkens und Geschehens zu erkennen.
Mit »Lose Dichte« überschreibt Kienzer seine Ausstellung im Marcks-Haus. Das Titel gebende Werk ist programmatisch: In scheinbar loser Zusammenstellung und Rückführung auf ihre pure Dinghaftigkeit fügen sich die Elemente zu einer körperhaften Dichte, die physisches und imaginäres Volumen ausbildet und eine sinnlich erfahrbare Dichtung entstehen lässt. In dem Wandobjekt bilden Metallstäbe die reduzierte Form eines Torsos aus. Figürliche und amorphe Konturen fließen in ein Rechteck ein. Das gesamte Geflecht wölbt sich in den Raum, markiert Körperlichkeit und öffnet diese zugleich. Im gleichen Kabinett verweist eine »Zeichnung« betitelte Arbeit auf die Linie als tragendes Element von Kienzers plastischer Arbeit. Die ebenso aus ihrer Nierenform wie aus dem Lot und der Ebene kurvende Figuration besetzt ausladend den Raum. Sie fordert zum Umschreiten auf, erscheint an jedem Standort des Betrachters neu, will in leiblicher Korrespondenz erlebt werden. Kein glatter und harmonischer Linienverlauf stellt sich ein, vielmehr verweisen Verbindungsschrauben auf die Fertigung. Die konstruktiven Teile der Spur und das Kräftespiel aus der Zusammenführung und Eigenbewegung der Elemente sind offenkundig. Den Stand der »Zeichnung« sichert ein Stück Eisenbahnschiene, ein labiler Halt.
Die Werkschau im Marcks-Hauses macht deutlich, dass Kienzers Arbeit auf einer Neubefragung bildhauerischer Grundkategorien wie Druck, Gleichgewicht, Haltung, Klammer, Liegen, Öffnen, Schließen, Stapeln oder Stehen basiert, die auf eine sinnlich-körperhaft gewendete Lesart minimalistischer Abstraktion trifft.
Kienzers Materialien aus dem industriellen Bereich bilden eine Brücke zum Alltag, schaffen erste Zugänge zu vermeintlich Vertrautem, fallen durch die Neukonstellation aus ihren ursprünglichen Zwecken, womit sich Profanes zu spielerisch-gewichtiger Poesie wandelt. Purer eigensinniger Stoff und die ihre Fugen ausstellende Form geraten in Korrespondenz. So stiften Brüche und Risse im Innern des Werks zu einer von Konventionen freieren Wahrnehmung an, die vielfach gegenwärtige Kunst- und Lebenswirklichkeit wie auch überzeitliche Konditionen und Anfechtungen des Humanen in den Blick rücken lässt. Ihre Zeitgenossenschaft lässt Kienzers Arbeit bei intensiver Betrachtung durch eine Ausdehnung der momenthaften Formaussage erkennen, in einer zwingend bildhaften Vergegenwärtigung der Gegenwart.
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