vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 112
Portraits
Michael Kienzer | Michaela Meise | Liz MagorInterview
Hajo Schiff u. Raimar StangePage
Stefanie von SchroeterEssay
Roland SchappertAusstellungen
La Biennale di Venezia 2017Edition
Katja AuflegerPortrait
»you you«, Ausstellungsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2017, Courtesy the artist und Catriona Jeffries, Vancouver, Foto: Fred Dott
Textauszug
Liz MagorZwei hellblaue Handtuchstapel, alle Handtücher sind akkurat zusammengelegt und liegen auf dem Boden des Ausstellungsraumes. So unspektakulär und ein wenig spießig einem dieses Ensemble zunächst vorkommt, desto erstaunlicher ist das Geheimnis, das es birgt. Wer die Stapel umrundet, um sie von allen Seiten zu betrachten, entdeckt, dass er es hier ganz offenbar mit einer Art Fake zu tun hat. Der harmlose Handtuchstapel ist nämlich aus Gips geformt, innen hohl, und er dient als Versteck für eine ganze Batterie ungeöffneter Bierflaschen und -dosen. »Double Cabinet (Blue)« (2001), so lautet der Titel dieser Arbeit. Hat man ihr Prinzip durchschaut, so nähert man sich dem annähernd rechteckigen Wäschestapel, der unter anderem aus ausrangierten rosa Schuhen, lindgrünen Hemden und Strickjacken besteht und einige Meter entfernt platziert ist, mit der Gewissheit, auch hier wieder auf ein verstecktes Depot zu treffen. Und tatsächlich: Das Innenleben von »Carton II« (2006), so der Titel dieser Arbeit, besteht aus ein paar Dutzend Zigarettenschachteln, Kaugummiverpackungen, Streichholzbriefchen und Feuerzeugen. Beiden Arbeiten gemeinsam ist die Anspielung auf die offensichtliche Unterdrückung von sinnlichen Bedürfnissen und Genüssen zugunsten einer nach außen hin intakten, geradezu asketisch wirkenden Oberfläche. Nach außen zur Schau getragene Selbstdisziplin trifft auf unkontrolliertes Sich-Gehen-Lassen. Die neurotischen Besitzer derartiger Verstecke stellt man sich als sozial isolierte Wesen voller religiös oder gesellschaftlich codierter Schuldkomplexe vor.
Wie Bettina Steinbrügge, Direktorin des Kunstvereins in Hamburg, in ihrem Katalogbeitrag bemerkt, steht bei Magor das jedermann Vertraute im Fokus: »Textilien treffen auf Latex und Silikon, Objekte aus polymerisiertem Gips, Zweige, Holz. Jedes dieser Materialien ist bekannt und löst eine bestimmte emotionale Regung beim Betrachter aus.« Es ist gerade diese emotionale Form der Aufladung, die Liz Magors Arbeiten auszeichnet. Insbesondere ihre kleinformatigen, an Larven erinnernden Bodenskulpturen aus der Serie »Sleepers« (1999) wecken beim Betrachter Gefühlsregungen zwischen Anteilnahme, Empathie und Trauer. Magor präsentiert hier, wie Heike Munder, die Direktorin des Zürcher Migros Museum für Gegenwartskunst, es in ihrem Katalogbeitrag ebenso prosaisch wie zutreffend formuliert: »Längliche Objekte aus Silikon in den Größen von schlafenden Kleinkindern, an deren Enden größtenteils nicht sichtbare Puppenköpfe mit herausragenden Haarschöpfen stecken.« Die Tatsache, dass diese Arbeiten schutzlos und ohne Sockel auf dem Boden präsentiert werden, trägt dazu bei, dass der Betrachter sich ihnen mit aller gebotenen Vorsicht nähert, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.
Liz Magor findet die unterschiedlichsten Gegenstände aus der Warenwelt, dem Haushalt oder der Natur. Sie gießt diese ab, formt und gestaltet sie um, kombiniert Gefundenes mit im Atelier Hergestelltem und untersucht so die Sinnlichkeit, aber auch den Zwangscharakter von Subjekt-Objekt-Beziehungen im überwiegend männlich dominierten kapitalistischen Wirtschaftssystem. Dennoch: Obwohl sie sich »ganz bestimmt und absolut« als Feministin definiert und ebenso betont die politischen Glaubenssätze ihrer Generation, »mit dem Schwerpunkt auf Bürgerrechten und Grundrechten« zu vertreten, sieht sie sich nicht als dezidiert politische Künstlerin. Kunst mit einer belehrenden Funktion lehnt sie ab.
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