vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 112

Portraits

Michael Kienzer | Michaela Meise | Liz Magor

Page

Stefanie von Schroeter

Edition

Katja Aufleger

Portrait

Frau Holle, 2017, ceramic, 33 x 43 x 73 cm, Courtesy Johann König, Berlin, Foto: Roman März

Textauszug

Michaela Meise
MINIMAL/POWER: Schon Rosalind Krauss hat bekanntlich auf das nicht unbedingt intendierte Potenzial minimalistischer Kunst hingewiesen, eine inhaltlich aufgeladene Lektüre ihrer scheinbar so reduziert geometrisch abstrakten Werke zu evozieren. Besonders die frühen künstlerischen Arbeiten von Michaela Meise, ihre Installationen, Skulpturen, Zeichnungen, Performances und Künstlerbücher, stehen nicht zuletzt in der Tradition künstlerischer Strategien, die dieses Potenzial bewusst initiieren, indem sie die vermeintlich streng formalistische Ästhetik der Minimal Art durch eine kraftvoll kombinierende Konfrontation von ihren minimalen Strukturen mit dezidiert »abbildenden« Referenzen gezielt »kontaminieren« (Ursula Panhans-Bühler).

MISS/PLAY: Diesen inhaltlichen Fokus auf Gender und Sexualität gibt Michaela Meise in ihrem Ausstellungsprojekt »Mother« 2014 im Berliner Ausstellungsraum Bethanien nicht auf, wohl aber ein Stück weit ihre Auseinandersetzung mit der Minimal Art. Stattdessen tritt hier formal eine so beiläufige wie komplexe Auseinandersetzung mit Pop Art und Kontext Kunst auf ihren ästhetischen Masterplan. An die Präsentationen der Kontext Kunst spielt Meises Einsatz von zahlreichen Vitrinen aus ihrer Serie »Gestelle«, 2011, da ebenso an wie an die Pop Art und ihre Reflexion des Displays zu Verkaufszwecken. In ihrem displayartigen Gestell »Schwarze Sonne«, 2011, zeigt z. B. die Künstlerin Bücher, aber auch drei fast schon feierlich anmutende Blumen. Die Bücher sind die deutsche, englische und französische Ausgabe von Julia Kristevas Band »Schwarze Sonne: Depression und Melancholie«, 1987. Die Tatsache, dass hier einerseits dreimal das gleiche Buch, andererseits so unterschiedliche Waren wie Blumen und Buch direkt nebeneinander
liegen, zeigt schon an, dass Meise hier gängige Formen von Kaufkonsum kritisch hinterfragt. In Julia Kristevas Buch lautet eine zentrale These, dass das Nicht-Akzeptieren der Trennung von der Mutter ein wichtiger Grund für Depressionen sei – womit das Thema dieser Ausstellung erneut benannt ist: »Mütter«.

TEXTIL/TON: Signifikant auch der Titel von Michaela Meises diesjähriger Einzelausstellung in der Berliner Galerie Johann König: »Holle-Vanderbilt«. Die Nennung von »Holle«, der Märchenfigur »Frau Holle« also, verweist ebenso auf eine formale Struktur ihrer Arbeit wie die Erwähnung von »Vanderbilt«, der legendären US-amerikanischen Millionärin, Designerin, Schreiberin und (Andy Warhol-)Model Gloria Vanderbilt: der Struktur des textilen Webens. Gloria Vanderbilt ist nicht nur bekannt für ihren »märchenhaften« - insofern der »Frau Holle« verwandt - Reichtum, für ihren glamourösen Lebensstil inklusive Ehen u.a. mit dem Filmregisseur Sidney Lumet (»Die zwölf Geschworenen«, 1957), sondern auch für ihre (Jeans)Mode, die sich auszeichnete durch eine hybride Zusammenstellung von Outsider-Ästhetik und einer poppig-textilen Ornamentik, die durch das wuchernde Überlagern unterschiedlicher Muster und Farben geprägt war. Textile Momente sind auch für Frau Holle’s mythologische Rolle entscheidend, denn als Schicksalsgöttin webt sie den Faden, der letztlich unser Leben bestimmen wird. Als Keramikfigur taucht dann auch »Frau Holle«, 2017, in der Ausstellung auf, eine Decke webend.

DENK/MACHT: Überaus vielschichtig also verwebt Michaela Meise in ihren skulpturalen Rauminstallationen ausgewählte Momente jüngerer Zeitgeschichte zu einem dicht-wuchernden wie intendiert lückenhaften visuellen Text, der den BetrachterInnen diverse Möglichkeiten einer eigenen, so lustvollen wie kritischen Lektüre eröffnet und Multimedialität eben bewusst nicht nutzt (wie derzeit z. B. Anne Imhof in ihrem arg populistischen Beitrag für den Deutschen Pavillon in Venedig) für eine mehr oder weniger spektakulär platte Überwältigungsästhetik, die die Menschen autoritär zu einem chicen Kultur-Accessoire entmündigt. Nicht zuletzt auch in dieser gezielten »Instandsetzung« eines aktiven und selbstbestimmten Rezipienten liegt eine entscheidende politische Qualität der Kunst von Michaela Meise.

Raimar Stange