Artist Ausgabe Nr. 118

Portraits

Beatriz González | Cady Noland | Katja Stuke und Oliver Sieber | Hella Gerlach

Interview

Regina Barunke

Page

FORT »Symptoms of the Universe«

Edition

Gunter Reski

Portrait

Publyck Sculpture, 1994, Glenstone Museum, Potomac, Maryland, Installation view Museum MMK für Moderne Kunst, Foto: Axel Schneider

Textauszug

Cady Noland
Wer durch das künstlerische Universum der nordamerikanischen Künstlerin Cady Noland wandert, der reist zugleich durch die USA. Durch ein Land, das sich uns in den von ihr herauspräparierten Aspekten noch heute als weitgehend unverändert präsentiert, obwohl die 1956 geborene Cady Noland ihr künstlerisches Hauptwerk bereits in den 1980er und 1990er Jahren gefertigt hat. Überzeugt davon, dass die Kunst die Verhältnisse nicht wirklich verändern kann, und erkennend, dass selbst kulturelle und künstlerische Kritik von kapitalistischen Wirtschaftsformen gewinnmaximierend vereinnahmt wird, hat sie sich schon vor mehr als 20 Jahren aus dem Kunstbetrieb zurückgezogen. In ihrem Oeuvre sind die USA ein Land, von dem man meinen möchte, dass in ihm eine Libertas den Ton angibt, wie sie von Kafkas Karl Rossmann wahrgenommen wird. Ein Land, in dem man Freiheitsrechte als verbriefte, schrankenlose Individualrechte ansieht, für die man immer noch ganz selbstverständlich mit der Waffe in der Hand kämpfen darf. Sodass das Recht auf freien Waffenbesitz bisher von keinem Präsidenten der USA wirksam eingeschränkt werden konnte, unabhängig davon, dass der gegenwärtige Präsident dieses Recht absolut gutheißt und nicht einmal im Traum daran denken würde, es zu begrenzen. Dass Freiheit, einer berühmten Definition von Rosa Luxemburg zufolge, immer auch »die Freiheit des anders Denkenden« ist, stößt dort weitgehend auf taube Ohren. Im Werk der Künstlerin sind die USA, um es mit den Worten Shakespeares zu sagen, aktuell ein Land »full of sound and fury« (»Macbeth«). Beherrscht von menschenverachtender Gewalt, schrankenlosem Egoismus und verrücktem Gewinnstreben.

Mit wahrhaft prophetischer Kraft ist die Pervertierung des historischen Heilsversprechens der USA als Himmel auf Erden in den dystopischen Verhältnissen der Gegenwart im Werk von Cady Noland bereits vorgebildet. Was sich nachdrücklich beim Gang durch ihre aktuelle Ausstellung im Frankfurter Museum für moderne Kunst erschließt. Sie ist eine Sensation, weil die letzte Einzelausstellung Nolands 1996 vor nunmehr 23 Jahren stattfand. Und sie ist ein Meilenstein für die Rezeption des Werkes dieser Künstlerin, nicht allein durch ihren beeindruckenden Umfang, sondern ebenfalls durch ihre vorbildliche Präsentation. Man kann dort sehen und intensiv erleben, mit welch scharfem Blick Noland auf ihr Land schaut und intensiv ästhetisch Gestalt werden lässt, wie die Mythen der USA erodieren. Wie ihr Freiheits- und Glücksversprechen sich zunehmend auflösen in Gewalt und Unterdrückung, Ausschluss und Abgrenzung. Das wird bereits in dem frühen Werk »Model With Entropy« (1984) exemplarisch deutlich. Der Titel spricht in diesem Zusammenhang Bände, ist doch der aus der Physik in die Sozialwissenschaften gewanderte Begriff der Entropie ein Maß für die wachsende Unordnung, ja, das Chaos in einem geschlossenen System. Noland zeigt uns in diesem Werk einen Baseballschläger, einen Football-Helm und einen Basketball, die sie zusammen mit einem Buch über die soziologischen Aspekte des Sports und dem Sicherheitsgürtel eines Fensterputzers zu einem gewalttätigen, an der Wand hängenden Stillleben arrangiert hat. Die Sportartikel verweisen metonymisch auf die populärsten US-Sportarten, die zugleich ein Milliarden Dollar schweres Business sind, in dem nicht weniger hart und brutal gekämpft wird, oft mit unlautersten Mitteln, als in der Wirtschaft selbst. Der Sicherheitsgürtel dagegen ruft das alte Aufstiegsversprechen der USA einer Karriere vom Fensterputzer zum Millionär ins Gedächtnis, was angesichts der heutigen Zustände in Sport und Gesellschaft geradezu lachhaft ist. Die Ambivalenz dieser Arbeit, die Evokation eines »guten« Mythos aus der Vergangenheit des Landes und seine »böse« Destruktion in der Gegenwart sind charakteristisch für die Kunst von Cady Noland.

Eine solch unheilige und konfrontative Allianz begegnet uns immer wieder im Werk der Künstlerin. Auch in der überragenden Arbeit »Publyck Sculpture« (1994), die bei Eintritt in die Ausstellung zu sehen ist. An einem Aluminiumgerüst hängen an stählernen Ketten drei strahlende Weißwandreifen. Während das Gerüst zugleich an Spielplatz und an Hinrichtungsstätte denken lässt, rufen die Reifen die Blütezeit amerikanischer Mobilität ins Gedächtnis. Jahre ökonomischer Prosperität, in denen die Autos groß waren und beeindruckende Haifischflossen hatten. Als noch niemand an die Erschöpfung fossiler Brennstoffe dachte und das Wort Klimakatastrophe unbekannt war. Als Cruisen zum Leben der Jugendlichen gehörte und Autos für amouröse Aktivitäten und aufregende Abenteuer gut waren – man denke nur an das »chicken run« in dem Nicholas Ray-Film »Rebel Without a Cause« mit James Dean –, in jedem Fall aber Abwechslung von einem langweiligen Alltag bedeuteten, vor allem in der amerikanischen Provinz. Die polymorphe Semantik des Werks transportiert auch das von der Künstlerin eigenwillig veränderte Adjektiv des Titels. »Publyck« wird bei ihr zum Kofferwort, in dem »public« (öffentlich) und in dessen zweiter Silbe sowohl »lick« (lecken) als auch »lych« (Leiche) stecken. Mit Freud lässt sich darin unschwer die Nähe von Eros und Thanatos ausmachen. Was auch dem immer möglichen Umschlag des Autos vom Lustobjekt (Liebesfilm) zur Waffe (Gangsterfilm) entspricht. Der ruinöse Abstieg des Autos, im übrigen auch des Motorrads, das der Film »Easy Rider« noch als glanzvolle Ikone eines selbstbestimmten Freiheitsstrebens feierte, wird in vielfältigen Materialassemblagen der Künstlerin deutlich. In »Bloody Mess« (1988) – auch hier gibt, wie sehr oft bei Noland, der Titel die Lesart vor –, finden wir ein signifikantes Neben- und Miteinander von Materialien: Fußmatten, Stoßdämpfer, Scheinwerfer und Rückspiegel rufen metonymisch das Auto auf, Bierdosen Rausch und Überschreitung, Metallkörbe Konsumverhalten, Mützen und Handschellen die Polizei, und Stahlrohre lassen an Waffen denken. Die Betrachtung all dieser ungeordnet und disparat sich dem Auge darbietenden Elemente bietet dem Betrachter die Möglichkeit, eine Vielzahl von Verbindungen herzustellen und selbsttätig eine Geschichte zu entwickeln. Cady Noland arbeitet in fast all ihren Werken mit gefundenen Gegenständen, aber anders als bei Marcel Duchamp, der dem von ihm in die Kunst eingeführten Readymade angeblich gleichgültig und emotionslos gegenüberstand, sind sie sorgfältig ausgewählt und aufeinander abgestimmt. Aber um sie zum Erzählen zu bringen, braucht es die produktive Mitarbeit des Betrachters; sonst bleiben sie nicht selten nur ein Haufen Müll.

Michael Stoeber