Artist Ausgabe Nr. 118
Portraits
Beatriz González | Cady Noland | Katja Stuke und Oliver Sieber | Hella GerlachInterview
Regina BarunkePage
FORT »Symptoms of the Universe«Essay
Raimar StangeEdition
Gunter ReskiPortrait
Gelenkstellen, 2018, Installation view, Kunstverein Jesteburg, Foto: Linda Fuchs, Courtesy the artist
Textauszug
Hella GerlachWas genau war in Jesteburg zu sehen? Insgesamt zeigte Hella Gerlach Arbeiten aus vier verschiedenen Serien. Besonders augenfällig war ein gleich mehrfach im Hauptraum des Kunstvereins vertretener Skulpturentypus, der sich durch einen tisch- bzw. sockelartigen, stets zweifarbig gehaltenen Überbau und vier besonders filigran ausgearbeitete und zum Boden hin spitz zulaufende, schwarze Beine auszeichnete. Es handelte sich also um möbelartige Gebilde mit hoher skulpturaler Autonomie, wie sie beispielsweise auch Richard Artschwager in den 1960er Jahren oder das kubanische Künstlerkollektiv Los Carpinteros seit den frühen 1990er Jahren produziert hat. Eine an Hard-Edge-Paintings erinnernde malerische Komponente kam noch hinzu: Der unmittelbar an die Beine anschließende, rechteckige Hauptkörper der Arbeiten war im unteren Teil ebenfalls schwarz lackiert, der obere Teil hingegen in Farbtönen wie Hellgelb, Hautfarben, Weiß oder mattem Blau gehalten. Das Oberflächenfinish war jeweils perfekt monochrom ausgeführt. Höhe und Breite der Arbeiten variierten, ebenso das Verhältnis zwischen schwarzen und farbigen Segmenten. Teilweise standen die Skulpturen in kleinen Gruppen zusammen, so dass sich eine Anmutung von sozialen Beziehungen ergab. Die Füße als Ausstattungsmerkmal verliehen den Arbeiten zudem eine potentielle Mobilität, die ebenso an sich langsam fortbewegende Säugetiere wie an reale oder aus dem Science Fiction-Genre bekannte Roboter erinnerte. Damit spielte Hella Gerlach, wie häufig in ihren Ausstellungen, mit einer Erwartungshaltung des Publikums, die gezeigten Objekte zu berühren oder in anderer Form mit ihnen zu interagieren.
Hella Gerlach hat für die in Jesteburg gezeigten skulpturalen Arbeiten die Bezeichnung »Gesellen« gewählt, die insofern doppeldeutig ist, als sie sich nicht nur auf das wechselseitige »sich zueinandergesellen« bezieht sondern auch auf die biografisch unterfütterte Tatsache, dass der Großvater der Künstlerin als Maler, Architekt und Möbeltischler tätig war. Die Figur des »Gesellen« bezieht sich in formalen Grundgedanken auf sein »Gesellenstück«. Noch etwas kam hinzu. Die grazilen Beine der Skulpturen waren keineswegs nur statisch mit den Körpern verbunden. Indem Hella Gerlach hier mit sogenannten »Cremona-Gelenken« arbeitete, griff sie auf ein Konstruktionsprinzip aus der deutschen Tradition des Fachwerkbaus zurück. Ein Cremona-Gelenk gilt als ebenso flexibel wie stabil.
Der Herstellungsprozess ihrer Arbeiten wird von Hella Gerlach nicht einfach, wie bei vielen anderen Künstlern üblich, komplett an Assistenten oder Spezialbetriebe delegiert. Hella Gerlach bevorzugt es vielmehr, die Arbeiten für all ihre Serien in enger Kooperation mit kleinen, unabhängigen Werkstätten, Manufakturen und Handwerksbetrieben selbst zu produzieren oder produzieren zu lassen. Dabei spielt auch die soziale Komponente eine wichtige Rolle. So arbeitet sie unter anderem in freien, kollektiven Werkstätten und Fachbetrieben für benachteiligte Menschen oder lässt sich von einem pensionierten, argentinischen Werkzeugbaumeister aus ihrer Kreuzberger Nachbarschaft bei handwerklichen Speziallösungen assistieren. In diesem Zusammenhang interessant ist auch die Tatsache, dass sich Hella Gerlach intensiv mit der seit der Antike bekannten, elementaren, ursprünglich gärtnerischen Kulturtechnik des Pfropfens beschäftigt hat. Ein Kulturmodell übrigens, das von Denkern wie Georg Simmel, Aby Warburg oder Jacques Derrida immer wieder als Metapher für das Verständnis von Kultur als fortwährender Prozess der Vermischung aufgefasst wurde. Auch beim Zusammenfügen von zwei verschiedenen Pflanzen werden Fremdes und Eigenes miteinander verbunden. Es kommt zu einer Hybridisierung, zu einem Einwachsen des einen Elements in das andere. Wichtig dabei ist, dass beide Beteiligten ihre jeweiligen Eigenschaften bewahren.
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