Artist Ausgabe Nr. 124

Portraits

Frauke Dannert | Simon Modersohn | Franziska Keller | Jonathan Monk

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Regina Marie Möller

Portrait

o.T., 2020, Installationsansicht, Weserburg, 2018, (Detail) Rettungsdecken 150 Stück zerschnitten: 3000 Linien: je nach industrieller Faltung: 10-12 cm breit und 160 cm lang, Hängung: Linien sind an die Decke getackert, ergeben eine Dreiecksform: 6 x 6 x 8,40 m, 24 qm, Foto: Caspar Sessler

Textauszug

Franziska Keller
Präzise skulpturale Installationen aus weißem Papier und Gebrauchsgegenständen inszeniert die in Bremen lebende Künstlerin Franziska Keller stets raumbezogen. Grundlegend erforscht sie die Beziehungen zwischen den Menschen und den Dingen. Dabei geht die Künstlerin von den Erkenntnissen des Psychologen Aleksej N. Leont’ev aus, der in den 1920er-Jahren in seiner Tätigkeitstheorie beschrieb, wie der Mensch sich durch Interaktion Dinge in einem Raum aneignet. Um einen solchen kommunikativen Prozess auszulösen, nutzt Keller als Hilfsmittel die dreidimensionale Linie. Ausgehend von der Zeichnung, mit der sie Wahrnehmungen wie Emotionen, Erlebnisse und Bewegungen verarbeitet, überträgt sie Linien als installativ-skulpturalen Ausdruck in den Raum. Mit ihren exakt installierten Arbeiten erhebt Keller den Ausstellungsort zu einer Bühne, stellt ihn jedoch stets in Frage und überlässt den Betrachtenden die Entscheidung, ob sie Zuschauende sind oder zu Akteuren werden.

Vor Ort denkt Franziska Keller ihre installativen Werke stets neu. Diese Vorgehensweise macht ein besonderes raumspezifisches Arbeiten möglich. Einige ihrer großformatigen und raumgreifenden Werke realisiert die Künstlerin auch mehrfach mit Anpassungen in Abhängigkeit zum jeweiligen Ausstellungsraum. Ihr gelingt es mit ortsspezifischen Konstruktionen, die sie gemeinsam mit Markus Weber umsetzt, auf die Räume zu reagieren. Die prozesshafte Auseinandersetzung mit Raum bedingt eine ebensolche Auseinandersetzung mit dem Material, der Installation und ihrer körperhaften Form.

Alle drei aktuell in dem von Keller eingerichteten Künstler* innenraum in der Weserburg gezeigten Arbeiten waren bereits an anderen Orten zu sehen. Und doch gelingt es der Künstlerin sie authentisch ortsspezifisch zu gestalten. Am augenfälligsten ist diese Behauptung nachzuvollziehen bei der Betrachtung ihrer unbenannten Installation aus Rettungsdecken. Erstmals realisiert Keller im temporären Projektraum Eichenhof in Worpswede 2018 in ihrer Einzelausstellung »Maßnahme« zum Projekt »Ausnahmezustand« diese Arbeit. Im ehemaligen Restaurant des einstigen Hotels installiert sie einen von der Decke schwebenden wesenhaften Körper aus den in gleichmäßige Streifen geschnittenen Rettungsdecken. Die Arbeit ist eindrucksvoll mehransichtig. Bei der ersten Begegnung mit der vorderen Ansicht versperrt eine kräftig goldfarbene und fast massiv wirkende Wand den Betrachtenden den Weg durch den Raum. Das leicht unruhige Flirren der Rettungsdecken-Streifen macht die Arbeit jedoch lebendig – und auch anziehend. Erst wenn sich der*die Besucher*in unter den tentakelhaften Streifen hindurch wagt, lassen sich die eigentlichen Ausmaße der Arbeit erfassen. Von der Rückseite betrachtet, ergibt sich ein neues Bild. Hier erzeugt Lichteinfall und die silbrige Rückseite der Rettungsdecken-Streifen einen fast durchsichtigen Materialcharakter. Die Form bricht auf und erscheint umso unwirklicher und zugleich wesenhaft lebendig.

Die aktuell in der Bremer Weserburg ausgestellten Arbeiten verbindet die rhythmisierte Wiederholung der Linie innerhalb eines festgelegten Systems. Diese Linien schneidet Keller beispielsweise in gefundenes Material oder in Papierbögen ein. Ihre einzelnen Werke verbleiben eigenständig, beziehen sie sich jedoch auch aufeinander, wenn die Betrachtenden die Verbindung schaffen. Die Aktivierung durch den*die Besucher*in ist buchstäblich bei der Rettungsdecken- Installation möglich, wenn durch die Bewegung eines Körpers im Raum Wärme erzeugt wird, die die Rettungsdecken in leichten Aufruhr versetzt. Doch auch die anderen beiden Arbeiten sind partizipativ angelegt.

Das Eigenleben der Arbeiten setzt ein, wenn die Ausstellung eröffnet ist. Keller hat für diese Lebendigkeit der Dinge den Begriff »be-zeichnet« geprägt, mit dem sie auch ihr im Frühjahr 2020 bei nomen nominandum buch in Bremen erschienenes Künstler*innenbuch betitelt hat. Für Franziska Kellers Arbeitsweise lässt sich eine Zuschreibung zum Konkreten, Analytischen, Konzeptuellen oder Narrativen sowohl in Teilen vornehmen wie auch in Teilen verwerfen. Die Künstlerin hat sich in den letzten Jahren eine eigene Handschrift erarbeitet. Die »Be-Zeichnung« mit den gegenseitigen Beeinflussungen von Dingen, Räumen und Menschen umschreibt zurzeit ihre künstlerisch forschende Haltung recht zutreffend. Mit ihren konzentrierten, materialbetonten und raumbezogenen Werken hat Franziska Keller eine unabhängige, zeitlose und allgemeinverständliche künstlerische Sprache entwickelt, die bei aller formalen Strenge und gleichzeitiger Absurdität vor allem auf eines zielt, auf Partizipation.

Katharina Groth