Artist Ausgabe Nr. 127

Portraits

Norman Sandler | Calla Henkel & Max Pitegoff | Moyra Davey | Teresa Burga

Interview

Hans-Peter Porzner

Page

Reinhold Budde

Edition

Karin Sander

Portrait

New Theater Bench (Blue), 2013, Courtesy the artists and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Photo: Hans Georg Gaul

Textauszug

Calla Henkel & Max Pitegoff
Calla Henkel & Max Pitegoff sind im vergangenen Jahrzehnt in der Berliner Kunstszene und mittlerweile weit darüber hinaus als ein extrem umtriebiges Künstlerduo in Erscheinung getreten, das sich darauf versteht, durch die Aneignung und Neucodierung vorhandener Räume und Strukturen kritische Aufmerksamkeit für die solchermaßen »gekaperten« Regelsysteme zu erzeugen. Indem sie befreundete KünstlerInnen, (Laien-)SchauspielerInnen, AutorInnen oder MusikerInnen einladen, innerhalb der von ihnen geschaffenen Frameworks zu performen, mobilisieren und visualisieren sie neue, die herkömmlichen Gattungsgrenzen sprengende Konstellationen und Allianzen. Gleichzeitig stellen sie Fragen nach den Ein- und Ausschlussmechanismen des Kunst- und Kulturbetriebs und nach den Entstehungsbedingungen von Kunst als subversivem Gegenpol zur neoliberalen Realwelt – gerade auch am Beispiel der Boomtown Berlin mit ihrem prosperierenden Immobilienmarkt. Neben ihrer Tätigkeit als Anreger und Veranstalter von Performances, Stückeschreiber und Regisseure arbeiten sie in den Medien Fotografie, Installation und Skulptur. Daneben entstehen auch immer wieder kunst- und kulturkritische Texte. Aktuell sind die beiden für die Shortlist des Preises der Nationalgalerie 2021 nominiert, der im Herbst in Berlin verliehen wird.

Das Interessante an diesen »Machines« ist der Gedanke, dass sich hier zwei Hauptstränge ihrer Arbeit miteinander verbinden: Fotografie mit (pseudo-)dokumentarischer Ästhetik und performative Aufführungspraktiken, wie sie sie bereits während ihres Studiums in New York, und danach in den selbst gegründeten Berliner Venues »Times Bar« (Juli 2011 bis September 2012) und »New Theater« (2013 bis 2015) und später dann im Grünen Salon der Volksbühne (Spielzeit 2017/18) realisiert haben. Aktuell betreiben sie an drei Abenden in der Woche in der Potsdamer Straße die Bar »TV«, die jedoch coronabedingt seit Monaten geschlossen ist. Hier drehten sie gemeinsam mit Gästen, Angestellten, Schauspielern und Nachbarn auch ihren Beitrag für die Manifesta 13 (2020) in Marseille. »Paradise, Episode 1, Tara & Josef« ist ein im Jahr 2023 angesiedelter Mix aus Dokumentation und Fernsehshow.

Der Autor Pablo Larios beschrieb ihre Inszenierungspraxis am Beispiel des »New Theater« folgendermaßen: »Henkel und Pitegoff betreiben das New Theater in Berlin. Seit etwa einem Jahr bringen sie dort gemeinsam mit Künstlern und Autoren (inklusive mir) kleine, jeweils nur wenige Male gezeigte und low-fi produzierte Theaterstücke auf die Bühne. Sie sind kaum dokumentiert, und die Zuschauerzahl ist stark begrenzt« und weiter: »Berlin hat bereits eine engagierte, höchst vitale und experimentelle Theaterszene – das New Theater setzt sich davon nicht zuletzt durch seinen trotzigen Dilettantismus ab. Es geht darum, wieder eine echte, gelebte Affektivität in die Kunst einzubringen – dinglich, schmuddelig, schäbig – und sich dem glatten Aufgehen von Kunst in ‘Bildmacht’ zu widersetzen.«

Im Rahmen der 9. Berlin Biennale 2016 zeigten Calla Henkel und Max Pitegoff in den Räumen der Akademie der Künste am Pariser Platz innerhalb ihrer damaligen Installation »Untitled (Interiors)« eine Reihe von Fotografien, die in der Privatresidenz des Botschafters der Vereinigten Staaten in Berlin-Dahlem entstanden waren, einem hybrid aufgeladenen Ort, an dem sich ganz unterschiedliche Funktionen, nämlich der Rückzug ins Private und die politische Inszenierung und Repräsentation anlässlich diplomatischer Anlässe und Empfänge zu überlagern scheinen. Eingerichtet worden war diese von der Frau des ehemaligen US-Botschafters John Kornblum. Das Ehepaar bewohnte die Räume zwischen 1997 und 2001. Calla Henkel & Max Pitegoff, die stets an der sozialen und institutionellen Aufladung von Räumen interessiert sind, führten im Rahmen dieser Arbeit auch ein längeres Interview mit Kornblum, in dem es unter anderem um Fragen der Sharing Economy und die Vereinnahmung kultureller Player für Zwecke der Politik ging. Auf den Aufnahmen zu sehen sind ephemere Spuren von Selbstinszenierungen der Künstler als Schatten oder Reflexionen innerhalb des gediegenen Interieurs der Residenz. Für die Ausleuchtung der Szenerien verwendete das Künstler-Duo Scheinwerfer, die zuvor im New Theater zum Einsatz gekommen waren. Auch wenn die überwiegend warmtonigen Aufnahmen zunächst an die Ästhetik von Interior-Magazinen erinnern, so entdeckt man jedoch bei näherem Hinschauen schnell Störelemente und Verfremdungseffekte in Form von sichtbar aufgestellten Scheinwerfern oder auf dem Boden liegenden Scheinwerferkabeln. Die von Calla Henkel & Max Pitegoff in der Akademie der Künste auf großformatigen Spiegelkachel-Wänden präsentierten Fotografien kamen insofern einer Selbstbefragung ihrer Doppelrolle als kulturelle Repräsentanten ihres Landes einerseits und als kritische Beobachter andererseits gleich. Zumal sie sozusagen am Vorabend der sich bereits ankündigenden Ära Trump realisiert wurde.

In einer anderen, 2014 entstandenen Serie zeigen Calla Henkel & Max Pitegoff Aufnahmen der Wohnungen befreundeter Künstler. Die Bewohner instruierten sie zuvor, ihre Räume so zu inszenieren, als würden diese für ein Online-Portal zur temporären Vermietung privater Wohnräume fotografiert werden. Damit persifliert das Künstlerduo auf durchaus humorvolle Art und Weise die standardisierten Checklisten und Video-Tutorials, mit welchen Plattformen wie Airbnb private Wohnungsvermieter zu einer Vereinheitlichung ihrer Einrichtung animieren. Die Anzahl und Größe von Kopfkissen etwa wird da ebenso vorgegeben wie die Methode, Handtücher zu falten oder das knitterfreie Aufziehen eines Bettlakens. Das Ergebnis sieht dann überall gleich aus: Neues Biedermeier, Spießigkeit, Kleinbürgerlichkeit. Die Serie wurde inspiriert von der zwischen 1979 und 1983 noch zu Studienzeiten begonnenen frühesten Serie Thomas Ruffs mit dem lakonischen Titel »Interieurs«. Der Düsseldorfer Fotokünstler war dafür in seine Heimat im Schwarzwald zurückgekehrt und hatte spießig wirkende Einrichtungsdetails in den Wohnungen von Verwandten und Bekannten mit großer sachlicher Distanz festgehalten. Dennoch strahlen diese Aufnahmen eine gewisse Ambivalenz aus, da es sich um die mit sentimentalen Erinnerungen aufgeladene Umgebung seiner Kindheit handelte.

Calla Henkel & Max Pitegoff liefern hier anhand ebenso chaotischer wie sorgsam arrangierter und ausgeleuchteter Interieurs intime Einblicke in die nicht selten prekäre wirtschaftliche Situation von soloselbständigen Künstlern in Berlin. Gleichzeitig zeigen sie eine wenig glamouröse, nämlich von bürokratischen Sachzwängen geprägte Seite des Künstlerdaseins auf. Calla Henkel & Max Pitegoff balancieren stets geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Dokumentation und Inszenierung, Professionalität und als Stilmittel eingesetztem Diettantismus. Zudem zeichnet sich ihr medial breit aufgestelltes Werk durch eine große Offenheit gegenüber anderen künstlerischen Akteuren und Genregrenzen sprengenden Kollaborationen aus. So entstehen Werke von großer atmosphärischer Dichte, subversiver Kraft und poetischer Schönheit.

Nicole Büsing / Heiko Klaas