Artist Ausgabe Nr. 127

Portraits

Norman Sandler | Calla Henkel & Max Pitegoff | Moyra Davey | Teresa Burga

Interview

Hans-Peter Porzner

Page

Reinhold Budde

Edition

Karin Sander

Portrait

Dibujos viendo mal - Grupo de mujeres sentadas - Dom, 07/01/2017, 2018. Aus der Serie: Dibujos viendo mal, Filzstift und Kugelschreiber auf Papier, gerahmt 32,5 x 41 x 3,5 cm, Courtesy Galerie Barbara Thumm und Nachlass Teresa Burga

Textauszug

Teresa Burga
Erst 2009 bin ich erstmals mit dem »Nicht-Werk«, wie es die peruanische Künstlerin selbst einmal treffend formulierte, von Teresa Burga in Kontakt gekommen. Damals zeigte der Württembergische Kunstverein in Stuttgart seine Themenausstellung »Subversive Praktiken«, in der Teresa Burga prominent vertreten war. Zwei Jahre später präsentierte dasselbe Haus eine von Emilio Tarazona, Dorota Biczel und Miguel A. Lopez kuratierte große Einzelausstellung mit über 100 Werken der 1935 in Iquitos, Peru, geborenen Künstlerin. Im gleichen Jahr hat sie zudem auf der Istanbul Biennale ausgestellt. 2015 dann lud Okwui Enwezor sie auf die 56. Venedig Biennale ein und würdigte somit endlich das Werk einer überaus vielseitigen Künstlerin, die zu Recht als »Wegbereiterin der Konzeptkunst in Lateinamerika« gilt. Jetzt im Februar 2021 verstarb die Künstlerin, ihr Nachlass wird nun von der Berliner Galerie Barbara Thumm organisiert.

I m Zentrum der Stuttgarter Ausstellung 2011, es handelte sich übrigens um eine überarbeitete Übernahme der Retrospektive, die 2010 im Instituto Cultural Peruano Norteamericano in Lima gezeigt wurde, stand Burgas damals bahnbrechende Installation »Autorretrato. Estructura. Informe. 9.6.72 (Selbstporträt. Struktur. Bericht. 9.6.72)«, 1972. Diese mehrteilige Arbeit erinnert auf den ersten Blick eher an ein medizinisch-wissenschaftliches Setting als an eine künstlerische Arbeit, ist eben dezidiert ein »Nicht-Werk«. Die komplexe Installation setzt sich unter anderem aus diversen Zeichnungen, Dokumenten, Photographien, Elektrokardiogrammen, Phonokardiogrammen, pharmazeutischen Rezepten sowie aus einem Licht/Klangobjekt zusammen. Schon diese Auflistung macht deutlich, dass die Künstlerin sich hier unterschiedlicher Mittel bediente, die eigentlich nicht für das (auratische) Produzieren von Kunst gedacht sind. Im Zentrum von »Autorretrato. Estructura. Informe. 9.6.72 (Selbstporträt. Struktur. Bericht. 9.6.72)« steht, der wissenschaftlich-bürokratisch anmutende Titel kündigt es ein wenig an, die topographische Erforschung und Repräsentation des rundum abgemessenen menschlichen Körpers der Künstlerin. Insofern erinnert die Arbeit durchaus an Timm Ulrichs frühe Selbstversuche in den 1960er Jahren. Dabei wird die gesellschaftliche Realität, in der dieser weibliche Körper alltäglich lebte, kritisch analysiert. Genau dieses unterscheidet sich dann von Ulrichs bekanntlich meist völlig unpolitischer künstlerischer Strategie. Burga unterzog sich für diese Installation zum Beispiel einem Bluttest, einer Gesichtsstrukturanalyse und kardiologischen Untersuchungen. Nicht nur Diagramme von Burgas Blutwerten und ihrem Herzschlag sind zu sehen, die aufgezeichneten Herztöne Burgas steuern auch, gleichsam selbstreflexiv-interaktiv, besagtes Licht/KlangObjekt. Außerdem erscheint das Gesicht der Künstlerin in Form von Photographien, die mit ihren Ansichten von vorn, links und rechts auf polizeiliche Bilder, gemacht nach einer Festnahme, anspielen. Burga thematisiert hier die moderne – nicht nur neoliberale – Biopolitik, die mit Hilfe von gespeicherten Daten, gewonnen etwa aus der topographischen Messung von Physiognomien, eine »echtzeitliche« und fast schon totale Überwachung und Kontrolle ermöglicht. Die Überfülle der hier in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Mitarbeitern im doppelten Sinne des Wortes »vorgeführten« Daten und Abmessungen unterminiert dann allerdings im selben Moment gezielt jedweden wissenschaftlichen oder identitätsstiftenden Anspruch. Cecilia Fajardo-Hill hat es präzise in ihrem Text »Offenes Werk«, 2015, so formuliert: »Durch die Überrepräsentation und detaillierte Analyse wird Teresa Burgas Körper, obwohl er das einzige Thema ist, ungreifbar, unquantifizier- und undefinierbar, widersetzt sich jedem konventionellen Zugriff auf den weiblichen Körper und dem ihm gesellschaftlich zugewiesenen Platz als Objekt des Begehrens und Frau des Hauses«. Zudem leistet die freundlich-unfreundliche Übernahme naturwissenschaftlicher Methoden in »Autorretrato. Estructura. Informe. 9.6.72 (Selbstporträt. Struktur. Bericht. 9.6.72)« zumindest noch dieses: Sie weist hehre Ansprüche an (in Einzelarbeit angefertigte) Kunstwerke, die immer noch verbunden sind mit Vorstellungen von Genialität und interesseloser Sinnlichkeit, so strikt wie eloquent zurück.

Dieses Abarbeiten an eurozentristischen Kunstrichtungen wie der Op und Pop Art prägte Burgas frühe Zeit als »professionelle« Künstlerin, und dieses unter schwierigen politischen Bedingungen im damaligen Peru. So stellte Michael Hübl bereits fest, dass Burgas Arbeiten bestätigen, »dass die aufgeklärten Ideen der 1970er Jahre keineswegs nur in der Kunst des demokratischen Westens kursierten, sondern auch dort aufgegriffen und weiterentwickelt wurden, wo repressive Systeme die Existenz bestimmten.« Ähnliches lässt sich bei der Karriere von Hassan Sharif, der »als Godfather of concept art in the gulf« gilt, beobachten. Auch Sharifs Kunst knüpfte an westliche Ästhetiken wie Minimal, Pop und Concept Art an und auch Hassan Sharif hat zeitweilig in Europa studiert. So habe ich in artist Nr. 123 angesichts dieser (postkolonialen) Appropriationen schon gefragt, ob es solchen künstlerischen Übernahmen gelingen kann »alternative, auch historische Strukturen … zu bedenken«, Strukturen, die, ohne sich in der realitätsverlustigen Doktrin von Authentizität zu verheddern, sich aus Perus eigener traditionsreichen Kulturgeschichte entwickeln würden und eben nicht mehr oder weniger nahtlos an die oben von Michael Hübl ins Spiel gebrachte Aufklärung westlicher Prägung angedockt sind.

Fast dreißig Jahre war Teresa Burga aus unterschiedlichen Gründen von der Bildfläche des Kunstbetriebs verschwunden, im (zeitlichen) Rahmen ihrer eingangs kurz beschriebenen Wiederentdeckung zeigte sie dann auch wieder Malerei, etwa collagenartige Bilder, deren überaus irritierenden geometrischen Muster an die »Op Art denken lassen, zugleich an informationstechnologische Analysen, … an Datenerfassung oder soziologische Diagramme«, wie Ingeborg Buthe es klug zusammenfassend unter dem Motto »Dekonstruiert und neu codiert« beschrieb.

Raimar Stange