Artist Ausgabe Nr. 128

Portraits

Joulia Strauss | Dave Bopp | John Miller | Ibrahim Mahama

Interview

Andreas Beitin

Page

Alice Gericke

Edition

Dave Bopp

Portrait

Glad Hand, 1993, Mixed Media, Courtesy of the artist and Meyer Rieger, Berlin/Karlsruhe, Ausstellungsansicht Kunsthalle Bielefeld 2021, Foto: Philipp Ottendörfer

Textauszug

John Miller
John Miller ist ins Denken verliebt. Das wird in der Kunst, die er macht, ebenso deutlich wie in den Texten und Essays, die er über Kunst und Künstler schreibt. Auch in den von ihm verfassten Exegesen zu eigenen Werken. Sie sind nachzulesen in seinem zur Lektüre empfohlenen Reader »The Ruin of Exchange And Other Writings on Art«, erschienen bei JRP Ringier, Zürich. Millers Denken ist geschult durch die Dialektik Georg Wilhelm Friedrich Hegels, wobei er diese wohl in erster Linie durch die Lektüre der Bücher von Karl Marx, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse kennengelernt hat, die ihrerseits von Hegel profitiert haben. Für sie alle gilt Adornos schlüssige These, dass man dialektisch auf »Anhieb klüger« denkt.

An der Rhode Island School zählten zu Millers Lehrern abstrakte Expressionisten, gegen deren Innerlichkeit und Elitismus sich bereits die Pop Art gewandt hatte. Er wird in jenen Jahren Zeuge, wie die Werke ersterer immer mehr an Akzeptanz und Wert verlieren, die Werke letzterer dagegen an Zustimmung gewinnen, was sich auch auf ihre Preise auswirkt. Miller reagiert mit seiner Kunst darauf. Intelligent und analytisch, aufsässig und rebellisch zieht er sowohl gegen das Transzendenzstreben des Abstrakten Expressionismus zu Felde wie gegen die Affirmationen der Pop Art. Ausdruck davon sind die beiden lebensgroßen Selbstporträts auf Spiegeln aus zweiter Hand, die er 1982 mit Pigmenten aus gebrannter Siena malt. Dieses Braun, welches alle Welt scheußlich und widerwärtig findet, wird für Miller zur Farbe, mit der er die Kunstwelt erobert ähnlich wie Cézanne zu seiner Zeit mit seinen Äpfeln Paris. Nur dauert es ein bisschen, bis sich die Kunstliebhaber für Miller zu begeistern wissen. Leichter tun sie sich damit in Europa als in den USA. Sicher ist die Zurückhaltung der Amerikaner ihrem protestantischen Reinlichkeitswahn geschuldet. Beim Anblick des Brauns denken sie reflexhaft an Fäkalien und Exkremente.

Im Laufe der nächsten Jahre wird Miller von ihm geformte und gefundene Gegenstände, krude gebildete Landschaften und Stillleben, Reliefs und Skulpturen, mit pastosem Braun überziehen. Bei ihrem Anblick hat man tatsächlich eher das in Schmutz und Dreck manschende und sich an seinem Werk delektierende Kleinkind der freudschen Analphase vor Augen als das schöpferische Künstlergenie. Als Miller sich in den 2000er Jahren verstärkt dem Gold zuwendet, ist das eine Kehrtwendung, die sich radikaler nicht denken lässt. Im Vergleich mit dem vom Publikum nicht geliebten Braun ist das Gold völlig gegensätzlich konnotiert: Wertvoll in seiner Stofflichkeit, spirituell in seiner Semantik. Neben dem sphärischen Blau ist es traditionell die Farbe, in der die alten Meister die Gottesmutter kleideten.

Doch auch mit dem wertvollen Gold überzieht Miller ein völlig wertloses Plastik-Imperium aus allerlei bric-à-brac: Spielzeug, Waffen, Flaschen, Früchte und Kondome. Zuerst in »Dynasty« (2007), ein Titel, der sich anmaßender und ironischer nicht denken lässt. Auf dem reliefartigen Tableau versammeln sich die Gegenstände wie die Farben in einem Jackson Pollock-Gemälde in drangvoller Enge. Seine Skulpturen präsentieren dagegen mit Blattgold überzogene Säulenfragmente. Ihr Titel »A Bridge to Tradition« (2009) weist in die Vergangenheit. Doch der Bezug zur politischen Gegenwart, in der sie geschaffen werden, ist ebenfalls deutlich. Es sind die Jahre weltweiter Gier. Und der Finanzkrise, die den Glauben der Menschen an die Sicherheit von Werten, ob in Form von Geld und Gold oder Kunst und Aktien, auf eine harte Probe stellt.

Millers vorstehende Werke wenden sich in analytischer Strenge und spielerischer Lässigkeit dem ambivalenten Wertbegriff der Kunst zu und machen ihn für uns transparent. In Braun und Gold haben sie an der Aufdeckung künstlerischer Signaturen gearbeitet und sind dabei gleichfalls zu signature works des Kunstmarkts geworden. Was wohl zur Ironie des Kunstbetriebs gehört. Allerdings beschränkt sich Millers Kunst nicht auf seine Werke in Braun und Gold. In prominenter Weise zählt er zur so genannten Pictures Generation. Zu ihr gehören neben ihm u. a. Jack Goldstein, Robert Longo, Richard Prince, Cindy Sherman, Louise Lawler, Barbara Kruger und Millers enger, bereits verstorbener Freund Mike Kelley. Sie alle Künstlerinnen und Künstler, die mit den Massenmedien, Film, Fernsehen und Illustrierten aufgewachsen sind – später kam noch das Internet dazu –, die sie sich strategisch angeeignet haben, um uns durch ihre Arbeiten für soziale Dynamiken zu sensibilisieren.

Wie John Miller in diesem Bereich vorgeht, demonstriert jetzt Christina Vegh in einer beispielhaften Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld. Vegh ist die neue Leiterin des ikonischen Philip Johnson-Baus, dessen Architektur sie seit ihrer Amtsübernahme nutzt, um pro Etage eine Ausstellung zu zeigen. In ihre Konzeption hat sie auch das bisher wenig bespielte Souterrain miteinbezogen. Es verfügt über ein technisch hervorragend ausgerüstetes Auditorium, das sich nicht nur für Vorträge, Aufführungen und Versammlungen benutzen lässt, sondern auch gut geeignet ist, um dort Filme zu zeigen.Hier präsentiert sie nun unter dem Titel »Öffentlichkeit Gegenöffentlichkeit« in einer hervorragenden Schau den hierzulande in institutionellen Ausstellungen eher wenig präsenten Miller. Zuletzt war er 2020 im Berliner Schinkel Pavillon zu sehen, indes mit seinen völlig anderen Braun und Gold-Werken. Eine längst überfällige Präsentation, lebt Miller doch seit den 1990er Jahren neben New York auch in Berlin, wo er bisher noch keine vergleichbar große Ausstellung hatte. In Bielefeld liegt der Hauptakzent auf seinen im Auditorium präsentierten Filmarbeiten, die im Untergeschoss von weiteren Werkserien flankiert werden, hauptsächlich Fotografien, aber auch fotorealistischen Reliefs und der großformatigen Skulptur »Glad Hand« (1993).

Bereits im Titel dieser Schau spiegelt sich beispielhaft der dialektisch denkende und operierende Miller. Genauso ist dem Titel einer, inzwischen legendären, performativen Arbeit aus dem Jahre 1977, dem Film »Contradicting Statements«, der hier ebenfalls gezeigt wird, die dialektische Struktur eingeschrieben. Sie bestimmt die Auftritte und Ansagen seiner Protagonistinnen und Protagonisten. In hervorragender Weise demonstrieren sie den vom Philosophen G. W. F. Hegel beschriebenen Fortschritt des Denkens in These, Antithese und Synthese, die dann wieder zur These wird und so fort. Millers Film könnte erhellender nicht sein. Er ist nicht allein ein Plädoyer für das Denken an sich, sondern für ein Denken in toleranter und demokratischer Form. Nicht nur, weil in ihm alle mit ihren Thesen zu Wort kommen, sondern auch, weil sich im Ensemble aller Thesen in grandioser Manier gedanklicher Mehrwert abbildet.

Ein Werk, das inzwischen Kultstatus besitzt, ist Millers 1994 begonnene Fotoserie »In the Middle of The Day«. Jeden Tag, wo immer er sich aufhält, ob zu Hause oder auf Reisen, macht er zwischen 12 und 14 Uhr ein Foto. Sein Archiv umfasst inzwischen Tausende von Aufnahmen: Porträts, Landschaften Stillleben. Sie formieren sich zu einem Panorama zeitgenössischen Lebens, das dokumentiert, wie wir den öffentlichen und privaten Raum benutzen. Den Zeitraum für seine Aufnahmen hat John Miller mit Bedacht gewählt. Wenn sie nicht anderen Tätigkeiten nachgehen, essen die Menschen in der Mittagszeit und ruhen sich von der Arbeit aus. Produktion und Konsumption sind miteinander verknüpft. Miller erinnert hier in der Rolle des Beobachters und Flaneurs an den Dichter Charles Baudelaire, der im neunzehnten Jahrhundert die Straßen von Paris als Muse seiner Poesie entdeckte.

Michael Stoeber