Artist Ausgabe Nr. 128

Portraits

Joulia Strauss | Dave Bopp | John Miller | Ibrahim Mahama

Interview

Andreas Beitin

Page

Alice Gericke

Edition

Dave Bopp

Polemik

Tiger statt Koyote: Zentrum für politische Schönheit, Flüchtlinge fressen, Berlin 2016, Aktion, Foto: Raimar Stange

Textauszug

Zur Aktualität von Joseph Beuys
In einem 1988 publizierten Gespräch mit Max Reithmann bedachte Joseph Beuys angesichts seiner »Auschwitzvitrine«, 1956 - 64, die Frage nach der Darstellbarkeit der Shoah: „Nein, [Auschwitz bildlich darstellen,] das kann man nicht. Natürlich nicht. ... Daran zu erinnern, (…) in Zusammenhang mit den weitergehenden Aktionen. (…) Mit den weitergehenden Sachen eben etwas aufzubereiten, (…) was dieses schreckliche Bild, was sich im Bilde nicht darstellen lässt, sondern was nur dargestellt wurde in seinem eigentlichen Vorgang, während es geschah – dass man das überhaupt nicht übersetzen kann in ein Bild. Der Rest dieser ganzen Unmenschlichkeiten, dass das überwunden wird. Also insofern ist diese Auschwitzvitrine eigentlich ein Spielzeug. Ich maße mir nicht an, dass ich dadurch – durch diese Sachen – etwas wiedergegeben habe von dem Schrecklichen.« Mit deutlichen Worten also benennt der 1921 geborene Beuys, der sich als junger Mann noch freiwillig bei der Wehrmacht gemeldet hatte, die »schreckliche … Unmenschlichkeit« des Nationalsozialismus. Und er erkennt aus der Erfahrung dieser Katastrophe heraus die Kontinuität dieses Grauens bis in die Gegenwart, nicht nur der damaligen Bundesrepublik Deutschland - was dann wiederum der entscheidende Beweggrund für seine eigene künstlerisch-aktivistische Arbeit wird.

Joseph Beuys’ künstlerisches Engagement für die Umwelt ist hinlänglich bekannt, er war ja 1979 sogar an der Gründung der Partei »Die Grünen« mitbeteiligt. Seine bekannteste »ökologische Arbeit« ist wohl die Kasseler documenta-Aktion »7000 Eichen«, 1982 - 87, bei der Beuys unter dem Motto „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ vor allem Kassels Innenstadt begrünen lies und so das ökologische Bewusstsein vieler Menschen nachhaltig veränderte.

Interessanter aber scheint mir heute eine andere Seite der Beuysschen Kunst für den Kampf gegen den Klimawandel zu sein, nämlich die des »Schamanen« Beuys. Da ist natürlich über die Aktion »I like America and America likes me«, 1974, die Beuys internationalen Ruf als »Schamane« begründete, zu reden. Für diese Aktion in der New Yorker Galerie von René Block sperrte sich der Künstler für mehrere Tage gemeinsam mit einem Kojoten in den Ausstellungsraum der Galerie ein – der white cube wird zum Gehege. Zuvor, kurz nach seiner Ankunft in New York, hatte der Künstler sich in Filzlaken eingewickelt und sich so von der Außenwelt (Amerikas) isoliert.

Der mythologische Hintergrund hier liegt auf der Hand: Der Kojote wird als in Nordamerika heimische Hunderart von der indigenen Bevölkerung als heiliges Tier verehrt und spielt in deren Schöpfungsmythos eine zentrale Rolle für die Entstehung der Welt. Beuys nun zelebrierte in »I like America und America likes me« ein
harmonisches Miteinander mit diesem »wilden« Tier, um, wie er später im Gespräch mit Carin Kuoni erklärte, »unsichtbare Kräfte auszudrücken …, um Energien sehr deutlich zu machen, wenn man ein anderes längst vergessenes Reich betritt«. Und er versucht »mit den spirituellen Wesen dieser Gesamtheit von Tieren zu sprechen«, um so die Frage aufzuwerfen, »ob man nicht auch mit höheren Wesen, diesen Gottheiten und Elementargeistern sprechen kann«. Mit diesem Rekurs auf „längst vergessene Reiche« und dem Versuch, mit »spirituellen Geistern « zu reden, leistet Beuys hier genau das, was heute zu Recht vom aktuellen postkolonialen Diskurs eingefordert wird: Das Reaktivieren von indigenem Wissen und deren Narrativ als Gegenbewegung zu eben dem eurozentristisch-wissenschaftlichen Logozentrismus, den, wie gesagt, Beuys bereits 1979 als »Prinzip Auschwitz« verurteilt hat.
Diese zivilisationskritisch-zurückweisende Reaktion auf den Logozentrismus zielt auf das Gewinnen eines neues Verhältnisses zu Natur und Umwelt, das nicht mehr durch ein anthropozentristisches, den Mensch also in den Mittelpunkt stellendes Weltbild bestimmt wird. Außerdem bekommen indigene Menschen so wieder die Stimme, die ihnen jahrhundertelang verwehrt wurde. Deswegen schwärmt dann auch die indigene Künstlerin Joulia Strauss in einem Gespräch mit dem Autor für das beuysradio2021: »Weil Beuys diesem indigenen Wissen eine Plattform gegeben hat … und er mit diesen Kräften umgegangen ist, ist er ein Vorgänger des Dekolonialisierungsprozesses«.

Raimar Stange