vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 67
Portraits
Christine Streuli | Michael Bauer | Alexandra Ranner | Pierre Bismuth | General IdeaInterview
Carsten AhrensPage
Dirk HenningPolemik
Thomas WulffenEssay
Ludwig SeyfarthAusstellungen
»Die Jugend von heute«Künstlerbeilage
Benjamin BlankeAusstellung
Textauszug
»Die Jugend von heute«Max Hollein, junger, erfolgreicher Direktor eines Museen-Imperiums in Frankfurt am Main und perfekt erzogener Elegant Habsburger Prägung, hat einmal mehr sein exzellentes Gespür für Trends bewiesen. Er war es, der seinen Kurator Matthias Ulrich dazu motivierte, in einer großen Ausstellung das Thema der »Jugend von heute« zu bearbeiten und zu präsentieren. Und es ist nicht schwer zu erraten, dass diese Schau auf Grund ihrer Thematik die gewünschte hohe Besucherquote erzielen wird. Denn Jugend, das ist ein Dauerthema in den Medien.
Die Jungen, die bei uns nicht nachwachsen wollen, weil die Menschen in der Bundesrepublik keine Lust mehr haben, Kinder in die Welt zu setzen. Die Jungen, die in Zukunft immer mehr Alte werden ernähren müssen. Die Alten, die nicht alt werden wollen und in einer Art hedonistischem Dauer-Jugendlichkeitswahn gefangen sind. Die Alten, welche die Jungen kopieren. Dann die Jungen, die nicht so wollen wie die Alten und auch nicht so sein wollen wie sie, das ist ein die Zeiten und Generationen überdauerndes, ewiges Stück, welches mit wechselnden Inhalten und in wechselnden Kostümen in jeder Pubertät neu zur Aufführung kommt. Schließlich die ehrgeizigen und die schlaffen Jungen, die angepassten und die revoltierenden, die kriminellen und die braven, auch sie sind in jeder Generation wieder da, und die Erwachsenen preisen sie oder beklagen sich über sie je nachdem, wie sie auf die Jungen blicken.
Die Jungen sind in heutiger Zeit weniger als zuvor eine homogene Gruppe, wenn sie es denn in ihrer Geschichte je waren. Immerhin erkennt der extrapolierende Blick zurück idealtypische Formationen. So spricht man inzwischen zum Beispiel von der 68er Jugend. Heute indes zerfällt die Jugend in Skater und Raver, Hip-Hopper und Hooligans, Trainsurfer und Girlies, Graffitisten und tutti quanti. Schwierig zu entscheiden, wer mit der »Jugend von heute« gemeint ist, auch wenn der Titel der Frankfurter Ausstellung natürlich alles andere als ironiefrei ist.
Die Besucher der Frankfurter Ausstellung tut gut daran, das ganze hoch gestochene und leer tönende Brimborium von der »Jugend von heute« zu vergessen und sich allein auf die Werke zu konzentrieren. Sollte er sich zum Thema informieren wollen, greife er besser zur einschlägigen soziologischen Literatur. Fern von jedem Systematisierungswahn kann er in der Ausstellung schöne Entdeckungen machen, um so mehr hier Werke einer Reihe von Künstlerinnen und Künstlern versammelt sind, die in dieser Schau ihren ersten Museumsauftritt haben.
Auch die Mädchen der »Class of 1998« (1998), Fotoporträts von Anuschka Blommers und Nils Schumm, sind geschminkt und frisiert wie erwachsene Frauen, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass es sich bei ihnen eigentlich noch um Kinder handelt. Auch in der gekonnten Malerei von Joe Andoe, »Girl with Remote« (2004) und Alex Tennigkeit »You look good in that Gucci bikini« (2004) oder in den flüssigen Zeichnungen von Marlene McCarty wiederholt sich diese Perspektive. Der blutsaugerische Blick auf den jungen Körper bleibt nicht auf das junge Mädchen beschränkt. Er schließt wie in den Werken von Ryan McGinley, Collier Schorr und Anthony Goicolea den Heranwachsenden und den jungen Mann durchaus mit ein. Der Traum vom jungen, schönen Körper ist ein doppelter, einer des Subjekts und des Objekts. Es geht darum, ihn selbst zu haben oder als Körper des anderen zu besitzen. Beides hat die Fantasien des Menschen zu allen Zeiten erregt, aber vielleicht noch nie so nachhaltig wie heute. Als Objekt-Traum erzählt er in jedem Fall weniger von der Jugend von heute als von denen, die auf sie blicken.