vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 69

Portraits

Ralf Tekaat | Andreas Slominski | Michaël Borremans | Julia Oschatz | Andreas Gefeller | Ed Ruscha

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Thomas Ganzenmüller

Künstlerbeilage

Produktionsbüro Dilettantin

Polemik

Textauszug

»Biennalen ade?«
Angesichts der Dominanz der Biennalen außerhalb des europäischen Kontinents könnte man den Eindruck gewinnen, der europäische Kontinent verliert auch künstlerisch an Einfluss. Singapur richtet seine erste Biennale aus und macht gemeinsame Sache mit Shanghai und Gwangju. Die Busan Biennale lädt ebenso ein. Und diese Zeilen werden vor Ort in Sao Paulo gefertigt anlässlich der anstehenden Eröffnung der hiesigen Biennale in Brasilien. Die ökonomische Triebkraft hat der europäische Kontinent jedenfalls gegenüber den asiatischen und südamerikanischen Konkurrenten nicht mehr. Wer etwas anderes behauptet, ist der Vergangenheit verhaftet. Aber hat es auch noch die künstlerische Triebkraft?

Das stellt die Frage nach der Verbindung von Ökonomie und Kultur. Schafft eine starke Wirtschaft eine andere Kultur? Die Antwort kann nur spekulativ sein, weil die Koordinaten von Kunst beziehungsweise Kultur sich von denen der Wirtschaft so weit unterscheiden, dass eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist. Oder wir geben von vornhe-rein klein bei und bestätigen die Dominanz der Ökonomie über die Kultur. Eine derartige Dominanz aber sagt weder etwas aus über deren kulturellen Wert noch über deren Wurzeln. Es ist allenfalls ein Armutszeugnis einer möglichen Betrachtungsweise. Die Interdependenzen zwischen den Tigerstaaten, jene aufstrebenden Wirtschaftsmächte wie Singapur zum Beispiel, und ihrer kulturellen Basis ist weder untersucht noch konkret dargestellt worden. Denn was hieße »kulturelle Basis« in diesem Falle, wohl doch die Kultur vor Ort, polemisch begriffen: die Heimatkünstler. Diese in den Kontext einer internationalen Biennale zu stellen, hieße mit Wattebällchen auf angreifende Tiger zu schießen. Zwar ist man natürlich gern bereit, eine derartige Kunst wahrzunehmen, aber das heißt noch lange nicht, sie für wahr zu nehmen. Schließlich hat das europäische Kunstsystem mehr als hundert Jahre gebraucht, um zu einer Blüte zu gelangen, deren Ausklang heute noch an heroische Zeiten erinnern mag. Und schließlich bildet selbst das Modell der Biennale ein europäisches Muster ab. Wie weit das darin enthaltene Wettbewerbsmodell beispielhaft für eine weltweit agierende Wirtschaft ist, muss noch geklärt werden.

Thomas Wulffen