vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 69

Portraits

Ralf Tekaat | Andreas Slominski | Michaël Borremans | Julia Oschatz | Andreas Gefeller | Ed Ruscha

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Thomas Ganzenmüller

Künstlerbeilage

Produktionsbüro Dilettantin

Interview

Dr. Vanessa Joan Müller, Direktorin, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen

Textauszug

Vanessa Joan Müller
J.K.:
Warum wird man Mitglied eines Kunstvereins, ist es die symbolische Geste der Unterstützung oder die Identifikation mit dem Programm - von freiem Eintritt in allen Kunstvereinen, günstigen Reisen und Jahresgaben mal abgesehen?

V.J.M.:
Kunstvereine sind einmalige Institutionen, insofern sie einen intellektuellen Freiraum bieten, der in anderen Bereichen des Betriebssystems Kunst abhanden gekommen ist. Ihre Aufgabe ist die Präsentation auch solcher Positionen, die im etablierten Kunstbetrieb nicht zu finden sind, die gezielte Vermittlung der gesellschaftlichen Relevanz zeitgenössischer Kunst und die Etablierung eines lebendigen Diskurses über Kunst und angrenzende Themen. Heutige Ausstellungen zeigen deshalb nicht nur Positionen zeitgenössischer Kunst, sondern werden selbst zu Konzepten oder Denkräumen im weitesten Sinne. Sie bieten neue Blicke auf die aktuelle künstlerische Produktion, die sie in Bezug setzen zu anderen Themenfeldern. In gewisser Weise führt diese diskursive Praxis zu einer zeitgemäßen Wiederaufnahme dessen, was als »Konservation« im 19. Jahrhundert einer der zentralen Ausgangspunkte für die Gründung der Institution Kunstverein war. Als Mitglied des Kunstvereins wird man Teil dieser Programmatik, die man gleichzeitig ideell wie finanziell unterstützt. Es sind deshalb vor allem die Mitglieder, die den Kunstverein noch immer zu einem funktionierenden kommunikativen und sozialen Gefüge machen.

J.K.:
Auch bei meinem letzten Besuch in Düsseldorf verzichtete ich nicht auf das Stück Butterkuchen bei Leysieffer und betätigte mich als sitzender Flaneur: Vans mit breiten Reifen und getönten Scheiben, Herren in edlen, aber viel zu engen Anzügen, Damen im Chanel Kostüm, Sonnenbankbräune und Lifting. Das Bild der Kö scheint mir immer dekadenter zu werden - oder ist das nur ein Vorurteil eines Hanseaten?

V.J.M.:
Sicherlich lässt sich auf der Königsallee eine Ethnologie des Alltags betreiben, die Spezifika rheinischen Chics benennt. Dennoch habe ich nicht den Eindruck, dass die punktuelle Verdichtung zur Schau gestellten Reichtums auf der Königsallee repräsentativ ist für die Stadt. Düsseldorf besitzt eine stadträumliche Struktur, die das Flanieren entlang teurer Boutiquen zulässt, die aber auch weniger dekadente Milieus kennt. Im Prinzip bietet die Kö vor allem ein komprimiertes Bild dessen, was als zunehmendes Wohlstandsgefälle auch in anderen Städten sichtbar wird. Als Horizont kritischer kuratorischer Praxis ist das nicht uninteressant.

Joachim Kreibohm