Artist Ausgabe Nr. 87
Portraits
Heinrich Modersohn | Gerwald Rockenschaub | Alicja Kwade | Angela Bulloch | Luis GordilloInterview
Hubertus GaßnerPage
Brigitte WaldachPolemik
Dieter FroelichEssay
Raimar StangeKünstlerbeilage
Wolfgang EllenriederEssay
Textauszug
»Redefreiheit - nein danke?«Wenn in Teheran Demonstranten vom Militär beschossen werden, dann regen wir uns in unseren vermeintlich ach so freien westlichen Demokratien zu Recht auf. Da also herrscht die Unterdrückung des Rechtes auf Rede- und Versammlungsfreiheit und hier die aufgeklärte Toleranz - so einfach wie dieser Dualismus geschickt vortäuscht, ist es aber nicht. Redefreiheit auf öffentlichen Plätzen, wie da für Teheran eingeklagt wird, ist nämlich auch bei »uns« schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. So stellte schon Jürgen Habermas in seinem Buch »Strukturwandel der Öffentlichkeit«, 1962, fest, dass öffentlicher Raum nicht mehr in erster Linie genutzt wird, um öffentliche Angelegenheiten diskursiv zu verhandeln, sondern dazu, der Sphäre des Konsums möglichst viel Platz zu machen, z. B. auf Werbetafeln und in Fußgängerzonen, die zu nichts mehr dienen als dem möglichst einfachen Konsumieren.
Ähnliches diskutierte der Soziologe Herbert Marcuse schon Anfang der 1960er Jahre als er in seinem Buch »Der eindimensionale Mensch«, 1964, von der »repressiven Toleranz« sprach: Wenn alle MEINungen - man beachte das Possesivpronomen, das die Kommodifizierung von Rede bereits vorweg nimmt - zu tolerieren sind, also als tendenziell gleichwertig behandelt werden, dann bleibt eine (kritische) Wertung aus.