vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 61

Portraits

Karim Noureldin | Oystein Aasan | Daniel Maier-Reimer | Matthias Weischer | Francis Alys | Teresa Margolles

Interview

Susanne Titz

Page

Silke Wagner

Künstlerbeilage

Florian Slotawa

Interview

Susanne Titz, Direktorin, Museum Abteiberg, Mönchengladbach, Foto: Wilhelm Schürmann

Textauszug

Susanne Titz
J.K.:
Die Museen stehen ebenfalls auf dem Prüfstand.
Ihnen wird vorgeworfen, sie schielen auf Zeitgenossenschaft und begeben sich in Abhängigkeit von Sammlern, vernachlässigen die Präsentation, wissenschaftliche Aufbereitung und Pflege der Sammlung. Auch bei den Museen können wir hier und dort eine Umorientierung feststellen.
So sagte Kasper König im artist Interview: »Wir treten dezidiert als Museum an und nicht als irgendein Mischmasch von Museum, Kunsthalle und Kunstverein«. Udo Kittelmann betont vehment, die Sammlung und deren Präsentation solle das erste Ereignis des Museums sein.
Wie definieren Sie die Aufgabe der Museen?

S.T.:
Ich teile diese Kritik, die Museen sind derzeit in einer großen Gefahr. Beispielsweise können wir in Berlin beobachten, dass tatsächlich Sammler gesammelt werden. Und da stellt sich das Problem, was wird später mal Bestand sein. Zu überlegen ist, wie erzeugt man ein gutes Verhältnis zwischen öffentlich und privat, denn ohne das private Engagement kommen wir nicht aus. Wenn wir in die Geschichte zurückgehen, sehen wir, dass städtische Museen sich immer auch aus bürgerlichem Engagement, Schenkungen, Stiftungen und den Interessen der Sammler entwickelt haben. Ich denke somit, dass in der Definition des Museums immer auch das private Engagement enthalten ist. Auf der anderen Seite ist heute zu überlegen, wie Sammler im Sinne eines öffentlichen Interesses ihr Engagement äußern können und das bedeutet, zu klären, welches Engagement von Privatsammlern ist gut für ein Haus und welches nicht. Wir brauchen diese Sammler, die dann aber so weit gehen sollten, ihre Bestände in Stiftungen und Schenkungen einfließen zu lassen, die also tatsächlich mit einem öffentlichen Gestus und nicht nur mit einem privaten auftreten. Ebenso sehe ich, dass die Museen enorme Bestände haben, so dass sich die Frage stellt, wie viele Erwerbungen sollen sein und wie viele Erwerbungen können wir überhaupt zeigen. Bei einer Tagung in Düsseldorf über die Zukunft der Museen vertrat Christoph Brockhaus, der Direktor des Wilhelm Lembruck Museums, eine interessante These: »Es gibt keinen Museumsbesitz, sondern nur öffentlichen Besitz«. Wir sollten fragen, was als öffentlicher Besitz verfügbar ist, sprich nicht unbedingt an ein Museum gebunden, sondern der Öffentlichkeit gewidmet. Anhand der aktuellen Diskussion könnten wir ganz gute Ansätze finden, mit Privatsammlern über intelligentere Lösungen und Erscheinungen einer Zusammenarbeit zu sprechen. Für manchen ist es bereits nicht mehr die erstrebenswerte Lösung, wenn über dem Raum der eigenen Trophäen noch der dicke eigene Name steht.

J.K.:
Der Bestand eines jeden Museums hat statischen, hingegen haben die Ausstellungen dynamischen Charakter.
Von Johannes Cladders, dem ersten Direktor des Museums, stammt das Konzept des Anti-Museums. Ein Museum, das sich ständig selbst erneuert, das seine Bestände permanent in Ausstellungen präsentiert. Sicherlich kommt einer solchen Konzeption die Architektur des 1982 von Hans Hollein fertig gestellten Gebäudes entgegen. Wie bestimmten Sie das Verhältnis von Bestand und Ausstellung?

S.T.: Sicherlich wird der Bestand einen Stellenwert haben, weil er Ausdruck der Ideengeschichte des Hauses ist und ermöglicht, den Zusammenhang zwischen Gebäude/Gehäuse und den künstlerischen Projekten, die überhaupt zu dem Gehäuse geführt haben, zu erkennen. So ist der Bestand so etwas wie ein time tunnel. Cladders war in vielerlei Hinsicht Vorreiter. Er hat sehr früh Ausstellungen konzipiert, in denen er Werke aus unterschiedlichen Zeiten zusammenbrachte und sich damals schon Gedanken über die Beziehung gemacht zwischen einem neuen gegenwärtigen Kunstwerk und den Höhlenzeichnungen von Lascaux. Cladders besitzt im Grunde einen ganz weiten kulturhistorischen Blick und ist immer der Idee nachgegangen, wie die Werke in andere Kontexte und Korrespondenzen zu bringen sind. Da habe ich eine ganz schöne Referenz für etwas, was mir jetzt ganz selbstverständlich erscheint und tatsächlich in den Museen angesagt ist: Einmal Bezüge zwischen den Zeiten herzustellen, die eben nicht mehr immer die chronologische Passage bedeuten. Das Haus ist absolut gegen eine chronologische Hängung gebaut worden. Cladders hat das Haus damals einen Dschungel genannt, wo man selbst nach drei Besuchen noch immer nicht weiß, wie das Haus funktioniert. In einem solchen Zusammenhang können neue künstlerische Produktionen wieder ihren Ursprung in diesem Haus haben, denn Cladders hat weit vor den anderen Kuratoren genau damit das Museum begründet. Er hat immer mit dem Moment der Wechselausstellungen und Künstlerprojekten gearbeitet, auch aus der Not heraus, dass er keinen großen Bestand hatte. Für ihn war es selbstverständlich, dass ein Museum aus der Gegenwart heraus sammelt.

J.K.:
Wenn wir die kulturpolitische Diskussion verfolgen, können wir feststellen, dass Kunst und Kultur nicht mehr als ein Faktor begriffen wird, der den Städten zu einem Imagegewinn verhilft, sondern nur noch als Kostenfaktor. Faktoren dieser Art rufen nach Quantifizierung. Statt Qualität wird über Besucherzahlen, Verzehr an Kaffee und Kuchen, Hotelübernachtungen und dergleichen diskutiert. Auch Ihr Haus wird am Jahresschluss dem statistischen Vergleich unterworfen. Was heisst das für Ihre Arbeit?

S.T.:
In Aachen haben wir den Begriff der Besucherintensi-täten geschätzt, und ich denke, dass man diesen Begriff ebenfalls in einem musealen Kontext anwenden kann. Museen haben eine Attraktivität zu entwickeln. Möglicherweise entsteht auf diese Weise eine Mundpropaganda, so dass Museen immer wieder besucht werden, weil es einfach ganz bestimmte Orte sind. Dieser Ansatz versucht sich aus dem Quantifizierbaren herauszuhalten und bedeutet zugleich, so lange es geht abseits von Events zu argumentieren. Es muss letztendlich darum gehen, dass auch Ausstellungen mit Entdeckungscharakter ein Publikum finden, und das muss ich vorher sensibel machen, damit es sich diese Ausstellungen ansieht, obwohl es vielleicht die Urheber nicht kennt. Unsere Arbeit kann in dem ganzen Sektor nur darin bestehen, gegen das Quantifizierbare die Qualität zu setzen und die Wichtigkeit von Kunst und Kultur stärker darzustellen.

Joachim Kreibohm