vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 76

Portraits

Karina Nimmerfall | Mark Leckey | Nairy Baghramian | Eske Schlüters | Manfred Pernice

Interview

René Zechlin

Page

Sandra Vasquez de la Horra

Polemik

Hajo Schiff

Künstlerbeilage

Claudia Medeiros Cardoso

Edition

Katharina Mayer

Interview

René Zechlin, Direktor, Kunstverein Hannover, Foto: Dirk Meußling

Textauszug

René Zechlin
J.K.: Die museale Ausrichtung vieler Kunstvereine hat in eine Sackgasse geführt. Ich denke, Kunstvereine haben nur dann eine Überlebenschance, sofern sie konsequent der Zeitgenossenschaft verpflichtet sind. Wie bestimmen Sie die Aufgabe der Kunstvereine heute?

R.Z.: Die Definitionen der Begriffe »jung», »zeitgenössisch», »museal« usw. wird immer schwieriger, da durch das große, breite Interesse an zeitgenössischer Kunst, die Programme der Institutionen sich einander annähern. Zu einem Zeitpunkt, an dem Museen immer öfter junge Positionen zeigen, erhält »museal« eine ganz andere Bedeutung. Das ist immer eine Frage der Perspektive. Innerhalb dieser Diskussion wird oft der starke Einfluss von räumlichen und finanziellen Bedingungen auf die Programmplanung vergessen. Manche Finanzmittel sind speziell auf Großevents ausgelegt. Und mit »musealen« Positionen finden sich einfacher internationale Kooperationspartner, die den Bekanntheitsgrad der eigenen Institutionen erhöhen und den Haushalt entlasten. Trotzdem liegt für mich die Zielsetzung der Kunstvereine in der Förderung und Vermittlung zeitgenössischer Kunst. In dem Begriff »Förderung« steckt eine gute Portion Experiment und Risikofreudigkeit. Mit ihrer Konzentration auf die zeitgenössische Kunst und frei von Bindungen an gewachsene Sammlungsschwerpunkte oder inhaltliche Konzeptionen haben die Kunstvereine die Möglichkeit, schnell auf Themen und Fragestellungen in der zeitgenössischen Kunst zu reagieren, diese zu thematisieren und zu vermitteln. In den Kunstvereinen werden die Künstler präsentiert, die in den nächsten Jahren auf den Biennalen gezeigt und international diskutiert werden. In den Kunstvereinen haben junge Künstler die Möglichkeit, Ideen und Projekte in einem größeren Rahmen zu verwirklichen und die künstlerische Arbeit weiterzuentwickeln. Weiterhin ist der Kunstverein die Institutionsform, die tatsächlich lokale Fragestellungen und Positionen mit internationalen Tendenzen miteinander verknüpfen kann. Obwohl viele Museen einzelne zeitgenössische Projekte in ihr Programm mit aufnehmen, werden sie diese Bandbreite an Aufgaben und Funktionen nie den Kunstvereinen abnehmen können. Für diese wesentliche Position und wichtigen Aufgaben zwischen Akademie, Kunstmarkt und Museum sind die Kunstvereine allerdings vielerorts ziemlich unterfinanziert.

J.K.: Schneller und schneller, teurer und teurer, jünger und jünger scheint das Gebot der Stunde. Ständig werden neue Trends ausgerufen. Haben die Kunstvereine hier zu verlangsamen?

R.Z.: Ich weiß nicht, ob die Kunstvereine Entwicklungen verlangsamen können. Mit ihrer Konzentration auf zeitgenössische Kunst können sie den Entwicklungen aber eine nachhaltige inhaltliche Arbeit zur Seite oder entgegenstellen. Für Kunstvereine ist die zeitgenössische Kunst nicht nur Spielbein und experimentelles Anhängsel oder ein periodisch auftauchender Großevent. Entwicklungen in der Kunst werden durch die Einbindung und Thematisierung in den Gesamtprogrammen der Kunstvereine und deren inhaltliche Auseinandersetzung innerhalb der Ausstellung und Publikation reflektiert und getragen. In dieser inhaltlichen Aufbereitungs- und Vermittlungsarbeit sehe ich auch die Aufgabe und Chance der Kunstvereine.

J.K.: Wollen Sie mit Ihren Ausstellungen eine breite Öffentlichkeit erreichen oder bevorzugen Sie die Konstellation klein aber fein. Stephan Berg: »Junge Kunst ist und kann per Definition nie mehrheitsfähig sein, sie bedient ein Minderheiten-Publikum.« (artist Nr. 26/1996).

R.Z.: Warum sollte denn Junge Kunst mehrheitsfähig sein? Das ist ja nicht die Frage an dieser Stelle. Die Vielfalt macht die Kultur und Kunstszene einer Stadt oder eines Landes aus, dazu gehören programmatisch anspruchsvolle Programme und Künstler ebenso wie Angebote, die einen größeren Personenkreis ansprechen. Junge Kunst, und das hat sich seit 1996 doch sehr geändert, hat mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert, wenn man die Berichterstattung über die Biennalen und Kunstevents anschaut. Warum würden klassische Museen, die mit Picasso und Matisse aufwarten können, zunehmend zeitgenössische Künstler und Projekte in ihr Programm aufnehmen, wenn sich nur eine Minderheit dafür interessiert? Egal, wie man es qualitativ bewertet, Olafur Eliassons »Weather Project« in der Tate Modern in London war ein zeitgenössisches Kunstprojekt und ein Publikumsmagnet. Auch das letztjährige Ausstellungsprojekt »Made in Germany« zeigte, dass sich doch ein großer Personenkreis für zeitgenössische Kunst interessiert. Trotzdem kann es nicht das Ziel eines Kunstvereins sein, Ausstellungen so zu konzipieren, um möglichst viele Besucher anzuziehen. Aber es muss die Aufgabe sein, die Ausstellungen einem möglichst großen Personenkreis zu vermitteln. Erfolgreich ist eine Ausstellung, wenn sie interessante Auseinandersetzungen auslöst. Das kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen der Fall sein. Innerhalb der Ausstellung mit den Besuchern, auf der Ebene des Begleitprogramms oder auf überregionaler oder gar internationaler Ebene durch eine kritische Berichterstattung. Besucherzahlen und Einschaltquoten sind nie ein Beleg für Qualität. Aber es freut mich natürlich, wenn eher mehr als weniger Besucher an dem Programm teilhaben.

Joachim Kreibohm