Artist Ausgabe Nr. 56
Portraits
Ina Weber | Franz West | Kalin Lindena | Oliver Godow | Friedrich KunathInterview
Rosemarie SchwarzwälderPage
Jochen TwelkerPolemik
Stephan BergAusstellungen
»Die offene Stadt»Künstlerbeilage
Alex HanimannEdition
Peter ZimmermannPortrait
»Finks« (für Dirk), 1999-2000, Wandmalerei im Treppenaufgang Montparnasse, Berlin, 500 x 350 cm, Courtesy Galerie Christian Nagel, Köln/Berlin, Foto: Martin Eberle
Textauszug
Kalin LindenaMit leichter Ironie nennt Kalin Lindena diese neuen Arbeiten »Rorschachbilder«. Vielleicht, weil sie allzu deutliche Knicke, Symmetrien und Benennungen vermeidet. Die dunkelbunten Blätter ähneln den Motiven, mit denen der Schweizer Psychologe und Malersohn Hermann Rorschach Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Defizite der Seele auf ein Standard-Testformat brachte. Wo Rorschachs symmetrisch gespiegelte Tintenklecksbilder jedoch dem Psychischen ein Spielfeld freihalten, bedeckt Kalin Lindena den Karton mit vielen Farbschichten. Ihre ausformulierte Motivik muß sich darauf und dazwischen einrichten, wie die Schlangenhälse der Flamingos: »Start Wishing It Would Rain« sieht nur aus wie eine träumerische Imagination - viermal die bleiche Sichel des Neumondes gekippt und gespiegelt auf zwei ausladenden dunkelbraunen Schwingen, die von einem scharfumrissenen weißen Feld wie durch ein Scharnier verbunden sind und an den Rändern fast symmetrisch in helleren Flecken auslaufen. Ein Nachthimmel aus der Kulissenwerkstatt. Oder eine Aufsicht - Landschaften, Wolken, Mond und Raumfähre aus der Perspektive eines hochfliegenden kaleidoskopischen Auges? Kein Rorschach sondern ein eloquenter Rebus, der beides sein könnte, die Computertomographie einer inneren Welt oder das feingepinselte Aquarell vom Kosmos.
Kalin Lindena räumt ihren Bildern eine dritte Dimension ein, ohne auch nur im geringsten mit den Tricks der Perspektive die Illusion von Tiefe und Ausdehnung zu simulieren. Sie kalkuliert mit einem Davor, Danach und Dahinter genauso wie mit dem Raum, den ihr Breite und Höhe gewähren. Ob sich die Äste des Baumes aus dem Bild strecken oder platt verknäult übereinanderfallen, als wäre die Straßenwalze darüber gefahren, macht keinen Unterschied, so lange die Zeichnungen, Buchstaben und Icons davon unberührt bleiben. Sie erzählen von sich, wie die Namensschildchen eines uralten Stammbaumes, der aus dürren Namen und Daten in vielen Schriften ein verästeltes, vielstimmiges Familiengeschehen formt.
Kalin Lindenas Malerei ist erzählerisch, aber nicht in der Art der Fabeln, die Konflikte kostümieren und inszenieren. Faulheit, Neid, Schläue, Mißgunst oder Gier verwandeln sich dort in fade Begebenheiten zwischen Raben, Löwen und Füchsen. Wo Kalin Lindena die Uneindeutigkeiten und attraktiven Momente in der Abstraktion sucht, vermeidet sie dezidiert jede Übersetzbarkeit - denn die Tautologien der Tropfsteinhöhle sind traurig.
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