Artist Ausgabe Nr. 56
Portraits
Ina Weber | Franz West | Kalin Lindena | Oliver Godow | Friedrich KunathInterview
Rosemarie SchwarzwälderPage
Jochen TwelkerPolemik
Stephan BergAusstellungen
»Die offene Stadt»Künstlerbeilage
Alex HanimannEdition
Peter ZimmermannPolemik
Textauszug
»Die Diktatur der Beliebigkeit«« Wenn diese Biennale in die Geschichte eingehen sollte, was nicht sehr wahrscheinlich ist, dann wird sie es allein wegen zweier Superlative. Erstens: Noch nie, seit Beginn der italienischen Wetteraufzeichnungen, war es so heiß wie diesmal. 39 Grad im Schatten, dazu über neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Jeder Schritt wie ein Überlebenskampf im tropischen Dschungel. Zweitens: Keine Biennale, die ich in den letzten zwanzig Jahren besucht habe, hat mich mehr enttäuscht, gelangweilt und unterfordert, als diese 50. Jubiläumsschau, die doch eigentlich ein Glanzlicht in der Geschichte dieser schon ebenso oft totgesagten wie wiederauferstandenen Großausstellung werden sollte. Dabei ist es ja nicht so, als hätte man sich in den letzten Jahren nicht immer wieder kritisch mit dem notorisch anachronistischen Konzept der nationalen Pavillons auseinandergesetzt und mutlose Arsenale-Präsentationen beklagt. Und natürlich war man sich schon längst einig geworden, dass man im Grunde alle zwei Jahre nur deswegen noch zur Biennale pilgere, weil sie nun mal in Venedig stattfindet, diesem unglaublichen Zwitter aus surrealem Traumbild und realer touristischer Vermassung.
Und dennoch: Auch wenn all dies gerne zugestanden sei, bleibt unter dem Strich ein desaströses Ergebnis, vor allem, wenn man es an den selbst gesteckten Zielen Bonamis mißt. Dessen erklärte Absicht war es, einen lesbaren, verständlichen Ausstellungsparcours zu entwerfen, der den Besucher unmittelbar gefangen nimmt. Also keine strenge Intellektualisierung wie auf Enwezors Documenta, keine Übermacht stundenlanger, flimmernder Videobilder in luftlosen Black Boxes, sondern unmittelbare Evidenz, oder, wie das Bonami nennt »Die Diktatur des Betrachters«. In dem ersten - von Bonami selbst kuratierten - Ausstellungsteil, der unter der Überschrift »Clandestine« die gewaltige Wegstrecke durch die historischen Seilereien einleitet, sieht das dann so aus: Unter augenscheinlich völliger Vermeidung jedes nachvollziehbaren Ausstellungskonzeptes wuchern Bildstrecken und installative Arbeiten saft- und kraftlos über die Wände und die Böden, und erreichen dabei kaum einmal ein Niveau, das über dem eines durchschnittlichen Akademierundgangs liegen würde.
Leider gilt das auch für einen Großteil der übrigen Sektionen. Gearbeitet wird nach dem Prinzip eines schlecht durchdachten Globalisierungskauderwelsch. Irgendwie hängt alles mit allem zusammen, und gegen die Möglichkeit präziser Signifikanz setzt sich allemal verschwiemelte Polyvalenz durch, die lieber im großen Brei rührt, als in einem definierten Feld nach der überzeugenden Realisierung eines Einfalls zu suchen.