vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 89

Portraits

Jordan Wolfson | Marina Steinacker & Katharina Willand | Julia Lazarus | Markus Schinwald

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Sonja Rentsch

Ausstellungen

»Farbe im Fluss«

Künstlerbeilage

Stefan Panhans

Portrait

Holzmarktstrasse Berlin, 20. August 2011. Fotoserie (4 Motive), 100 x 150 cm., Ausstellungsansicht »It might all come together for a moment and then just as quickly it is gone«, Galerie Funke, Berlin, 2011, Courtesy of the artist and Galerie Funke

Textauszug

Julia Lazarus
Den 50 Minuten langen Dokumentarfilm »Forst«, 2005, hat die Berliner Künstlerin Julia Lazarus gemeinsam mit ihren Co-Autoren Ascan Breuer, Wolfgang Konrad, Ursula Hansbauer, Ben Pointeker und wR gedreht. Der Film überzeugt, so lobte schon Künstlerkollegin Hito Steyerl, deswegen, weil er sich »radikal dokumentarischen Wahrheitspolitiken verweigert, die das öffentliche Bild von Migranten beherrschen«. Diese signifikante Abgrenzung von seinem eigenen Genre gelänge »Forst« u.a., weil er »die weitverbreiteten elendsästhetischen Darstellungsformen von Migration unterläuft«. Schon hier wird deutlich, dass politische Kunst, und »jede Kunst, die Kunst sein will, ist politisch« (Jacques Ranciere), sich eben nicht nur durch seine inhaltlichen Momente ihren politischen Gehalt erarbeitet, sondern nicht zuletzt auch durch explizit formale Aspekte. Auch dadurch unterscheidet sich politische Kunst selbstverständlich von Agitation und Propaganda.

»Forst« dokumentiert die prekäre Situation in einem Erstaufnahmelager für Asylanten, das in Jena-Forst mitten im Thüringer Wald liegt, einen dezidiert politischen Sachverhalt also. Doch der verstörende Film zeigt eben nicht die üblichen Dokumentaraufnahmen solcher Lager in Deutschland - spartanische Unterkünfte, rigide Sicherheitsanlagen, verzweifelte »Insassen« … - , sondern konzentriert sich stattdessen überraschenderweise auf eine filmische Annäherung an den Thüringer Wald. Kleine Waldwege, im Winde wogende Baumkronen und karge Felder etwa sind da zu sehen. Diese Aufnahmen evozieren Erinnerungen an den Mythos des deutschen, ach so romantischen Waldes: der Wald als Fluchtstätte, als fast undurchdringliches Gestrüpp, als Hort seelischer Abgründe, als exterritorial Anderes … Der Wald wird zum Symbol für ein Draußen, das zur neuen, hoffentlich nur zeitweiligen »Heimat« für Asylanten geworden ist. Hito Steyerl formulierte es so: »Die Flüchtlinge werden nicht in ethische oder kulturelle Traditionslinien eingeschrieben, sie sind keine Sozialfälle, sondern werden einer Tradition des Freiheitskampfes zugerechnet, für die der Forst die nötige Abgeschiedenheit bot«

Raimar Stange