vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 98

Portraits

Brian Jungen | Roni Horn | Alicja Kwade | Eva Hesse

Interview

Reinhard Spieler

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Christian Holtmann

Ausstellungen

»Das Beste vom Besten«

Portrait

Portrait of an Image (with Isabelle Huppert), 2005, 100 C-Prints in bis zu 20 Sequenzen, je 38 x 31,8 cm, Detail, Courtesy Roni Horn und Hauser & Wirth © Roni Horn

Textauszug

Roni Horn
Sie hat viele Gesichter. In »Die Spitzenklöpplerin« von Claude Goretta ist sie die scheue, durchsichtige und introvertierte Beatrice und in Claude Chabrols »Une affaire de femmes« die kokette, kraftvolle, zugleich naive und berechnende Marie. Für ihn hat sie oft gespielt, und in jedem seiner Filme ist sie hervorragend. In Chabrols »Madame Bovary« ist sie Emma, die heiß ihre Sehnsüchte träumende und kalt sie verfolgende Frau des tumben Landarztes Charles. In »Biester«, auch von ihm, ist sie die sexuell herausfordernde, mordende und zutiefst amoralische Jeanne und in seinem Film »Süßes Gift« die unzufriedene Mika, die in ihrem unbedingten Streben nach Glück Gut und Böse nicht mehr zu unterscheiden weiß. Immer wieder ist diese Schauspielerin für ihre Rollen ausgezeichnet worden, mit dem Darstellerpreis von Cannes, dem Copa Volpi von Venedig oder dem französischen César. Für den Regisseur Benoît Jacquot hat sie in »Schule des Begehrens« die erfolgreiche, aber innerlich leere Geschäftsfrau Dominique gespielt, die sich auf ihrer Suche nach Liebe mit einem bisexuellen Stricher einlässt, und für Michael Haneke in »Die Klavierspielerin« die zerrissene und von ihren Dämonen getriebene Erika. Das sind nur einige wenige der Rollen, die Isabelle Huppert bis heute verkörpert hat.

Aber es sind die, in welche sich hineinzuversetzen, die nordamerikanische Künstlerin Roni Horn sie bat, als sie Huppert im Jahre 2004 fotografierte. Horn war begeistert von der Ausdruckskraft der französischen Schauspielerin, seitdem sie zum ersten Mal einen Film mit ihr gesehen hatte. Nachdem Huppert ihr Einverständnis zu den Aufnahmen gegeben hatte, machte Horn hunderte von Fotos von ihr. Dabei konzentrierte sie sich ausschließlich auf ihr Gesicht, das sie vor einer weißen Wand fotografierte. Nur wenig geschminkt und quasi nackt, hat der Betrachter, selbst wenn er Huppert kennt, Schwierigkeiten, die Gefühle, die sich auf ihm malen, mit den Rollen der Schauspielerin in Verbindung zu bringen. Ursächlich dafür sind der fehlende Kontext und die zeitliche Versetzung. Dennoch sind die Bilder im Grunde Rollenporträts. Deshalb hat Horn ihnen den Titel »Portrait of an Image« gegeben hat. Jede Aufnahme ist das Bild einer Emotion aus einem Film von Isabelle Huppert.

Aber das Werk ist keine bloße Wahrnehmungsübung. Es geht der Künstlerin bei der Strategie der Doppelung weniger um eine formalästhetische als um eine philosophische Dimension. Um die Frage, wer wir sind, wenn wir Ich sagen. Und um die Einsicht, dass die Bedingungen und Einflüsse von Zeit und Raum sich auf das Wesen alles Seienden auswirken. Sie will in diesen Werken die platonische Idee einer unwandelbaren Essenz in Zweifel ziehen. Das ist auch der Sinn früher Arbeiten aus den 1980er Jahren, als sie völlig identische Kugeln oder Kuben in unterschiedlichen Räumen präsentierte, die immer mitbuchstabieren an dem Eindruck, den wir von ihnen haben. Wobei trotz unterschiedlicher Erscheinungsweise ihr Zwillingsstatus die Vorstellung einer unverwechselbaren und einzigartigen Identität ebenso leichthändig wie elegant wieder suspendiert.

Nicht von ungefähr hat man Roni Horn einmal »eine Poetin des Wassers und des Wetters« genannt. Vielleicht eines ihrer am Stärksten beeindruckenden Werke ist eine Fotoserie, die nicht nur wegen des Umfangs ihrer gleichfalls hundert Bilder an »Portrait of an Image« erinnert. Ähnlich aufgenommen wie Huppert, zeigen die Aufnahmen das schöne Gesicht einer jungen Isländerin, das niemand, der es einmal gesehen hat, wieder vergessen wird. Horn ist mit der jungen Frau zu verschiedenen heißen Quellen der Insel gefahren und hat sie beim Baden fotografiert. Auch diese Bilder sind ganz kurz hintereinander entstanden, auch auf ihnen weichen Mimik und Ausschnitt nur minimal von einander ab. Horn hat ihrer Fotoreihe den poetischen Titel »You are the weather« (1994-96) gegeben. Und in der Tat glaubt man, dass in den ebenfalls zu Fünferreihen geordneten Aufnahmen so unterschiedliche Gefühle das Gesicht der jungen Frau überziehen, wie Wolken und Wetter am Himmel sind. Die Frau ist Horns isländische Künstlerkollegin Margrét Haraldsdóttir Blöndal, was indes kein Titel vermerkt: eine weitere Ähnlichkeit mit der Huppert-Serie. Auch in diesem Werk geht es nicht um Biografie und Dokumentation, sondern es zählen die Projektionen des Betrachters. Den macht die diskrete erotische Aura der Bilder empfindlich für mythologische Assoziationen. Obwohl Blöndal auf den Bildern bis zum Hals im Wasser steckt, kommt sie ihm vor wie Aphrodite, die Göttin der Schönheit, die aus dem Schaum des Meeres geboren wurde. Aber im Grunde kann man ihre Identität nicht greifen, weil sie immer wieder neu und anders erscheint, was Roni Horn in einem Gespräch mit dem Autor einmal in die Formel fasste: »Identity is a river.« Dass wir in diesem Fluss nicht untergehen, sondern immer neu Segel setzen auf der Suche nach unserem Welt- und Selbstverständnis, darauf kommt es an – in der Kunst wie im Leben.

Michael Stoeber