vergriffen
Interview
Dr. Reinhard Spieler, Foto: Michael Herling/Aline Gwose/Benedikt Werner, Sprengel Museum Hannover
Textauszug
Reinhard SpielerJ.Krb.: Besucherzahlen gelten mehr und mehr als Indikator für Erfolg. Die jeweiligen Besucherrekorde werden medientauglich aufbereitet. So erhält der 100.000 Besucher eine Reise für zwei Personen, der 200.000 eine Reise für die ganze Familie. Auch geringere Steigerungsraten der Besucherzahlen werden als grandioser Sieg verkauft. Spielen Sie auch auf diesem Feld oder überlassen Sie es den Kollegen? Wie definieren Sie Erfolg?
R.S.: Ich bin kein großer Freund von Quoten. Es ist ein irreführender, kontraproduktiver Druck zu glauben, ein Museum sei dann erfolgreich, wenn viele Besucher kommen. Ein solcher Wertmaßstab wird letztlich nur von einer profitorientierten Wirtschaftslogik gesetzt. Im Museum folgen wir aber nicht einer Wirtschaftslogik, sondern haben einen Bildungsauftrag. Eine Schule kann auch nicht rentabel geführt werden, und doch wird kaum jemand bestreiten, dass sie von eminenter Bedeutung für unsere Gesellschaft ist. Ein Museum organisiert Begegnungen und Reflektionen zum Funktionieren einer Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart. Je nach Ausrichtung des Museums werden dabei unterschiedliche Mittel und Medien vorgestellt, die unsere Existenz spiegeln. Erfolgreich ist ein Museum dann, wenn die Besucher ernsthaft angeregt werden, über sich selbst und ihren Platz in Gesellschaft, Geschichte und Gegenwart zu reflektieren – und sich dabei selbst mit neuen Perspektiven erfahren können. Kultur ist eine Plattform, auf der die Gesellschaft sich spielerisch und modellhaft befragen kann. Nicht der Wirtschaftserfolg ist entscheidend, sondern ob wir diese Modellfunktion intensiv zu nutzen vermögen. Die Besucherquote möchte ich dabei nicht ganz aus den Augen lassen. Natürlich wünschen wir uns, dass möglichst viele Menschen diese Modellfunktion nutzen. Aber die Besuchermasse kann für die Kunsterfahrung auch absolut kontraproduktiv sein, das sollten wir dabei nie aus den Augen verlieren. Ich denke, die Grundrelation an Kapitaleinsatz und Besucherreichweite sollte einigermaßen stimmen. Mit einem zweistelligen Millionenetat muss man mehr Leute erreichen als mit einem kleinen Kunstvereinsetat, der Fokussierung auf eine sehr spezielle Zielgruppe rechtfertigt. Ich kann also in einem Flaggschiff wie dem Museum Ludwig oder der Staatsgalerie Stuttgart kein Kunstvereinsprogramm machen, das nur wenige Leute interessiert. Die Schwierigkeit besteht darin, dennoch eine Balance zwischen großem Publikum und Innovation und Experiment zu finden.
J.Krb.: Blockbuster-Ausstellungen sind ins Gerede gekommen. Die Kosten sind nicht mehr genau kalkulierbar, Marketingstrategien spielen eine zu große Rolle, der Eventcharakter gerät zu sehr in den Vordergrund. Durch Blockbuster steigen die Besucherzahlen, aber hat auch das Verständnis von Kunst zugenommen?
R.S.: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, das Besucheraufkommen ist per se kein Qualitätsmerkmal für eine Ausstellung. Es gibt Blockbuster, die hervorragende Ausstellungen waren und vielen Menschen die Augen für einen Künstler oder ein Thema geöffnet haben. Es gab aber ebenso Blockbuster, die kaum Erkenntniswert gebracht haben, weil nur ohnehin schon längst Bekanntes gezeigt wurde und das dann womöglich auch nicht besonders gut. Und schließlich gibt es natürlich auch großartige Ausstellungen, die nicht zu Blockbustern geworden sind. Die Langzeitwirkung einer Ausstellung, das muss man sich immer wieder klar machen, hat mit der reinen Besucherzahl nur wenig zu tun. Eine der vielleicht bekanntesten und meistzitiertesten Ausstellungen der letzten 40 Jahre, Harry Szeemanns »When attitudes become form«, hatte gerade einmal 1000 Besucher… Wir sollten also immer erst einmal die Inhalte in den Mittelpunkt einer Ausstellung stellen: Was wollen wir eigentlich vermitteln und warum? Erst dann sollten wir überlegen, wieviel Besucherpotenzial in diesem Thema oder dieser Position steckt. Wenn es möglich ist, sollten wir so viele Besucher wie möglich ansprechen, wieso nicht? Aber die Besucherzahl per se ist nicht das Ziel, sondern die Ausstellungsidee muss stimmen und wichtig sein.
J.Krb.: Ein Privatsammler kann seiner Subjektivität freien Lauf lassen. Kann dieses oder jenes erwerben, kann sich an der Kunstgeschichte orientieren oder nicht, seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen oder nicht. Und ein Museumsdirektor – er ist der Kunstgeschichte verpflichtet, der Programmatik und der Historie des jeweiligen Hauses. Als kulturelles Gedächtnis hat das Museum Kunst (auf)zubewahren, die auch noch für die nächsten Generationen Bedeutung hat. Sehnen Sie sich manchmal nach mehr Subjektivität und Freiräumen?
R.S.: Ich denke, wir haben diese Freiräume schon, und wir haben in den Museen eben auch die Verantwortung, mehr zu bieten als reine Subjektivität. Gerade diese Subjektivität macht den Charme und Reiz mancher Privatsammlung aus – und der kunsthistorische Weitblick vielleicht auch die Qualität mancher Museumssammlung. Ich glaube aber nicht, dass Museumsleute grundsätzlich die besseren Sammler sind – das ist einfach immer wieder eine Frage besonderer Persönlichkeiten. Und so wie es mittelmäßige Museumssammlungen gibt, gibt es auch deprimierend schlechte Privatsammlungen, die mit sehr viel Geld zusammengekauft wurden. Die Qualitätsausschläge nach unten sind im Museum eher nicht so dramatisch wie in manchen Privatsammlungen. Allerdings sammeln Museen oft nicht so entschlossen und konsequent wie manche Privatsammler, die mit Kenntnis und Leidenschaft oft zielstrebiger vorgehen. Man sollte aber privates und museales Sammeln nicht gegeneinander ausspielen – beide haben ihre Stärken und Schwächen und tragen zu einer vielfältigen Kunstlandschaft bei.
J.Krb.: Museum Franz Gertsch, Wilhelm-Hack-Museum und nun das Sprengel Museum. Stehen diese Stationen gleichberechtigt nebeneinander oder ist das Sprengel Museum ein wahrer Glücksfall in Ihrer Biografie?
R.S.: Dazu gehört noch – als meine erste Berufsstation – die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Für mich persönlich war jede Station wichtig, und ich habe überall Entscheidendes gelernt und erfahren. Das Sprengel Museum ist für mich nun in der Tat die schönste und hoffentlich auch dankbarste Aufgabe – wenn Sie so wollen deshalb für mich auch wirklich ein Glücksfall. Das Glück ist allerdings nicht vom Himmel gefallen, sondern ich habe mir die Voraussetzungen dafür in meinen früheren Stationen zum Teil recht mühsam geschaffen. Das Arbeiten in kleineren Häusern an der Peripherie ist manchmal ungleich schwieriger als in den großen Häusern mit opulenter Finanzausstattung und großem Medienecho. Wenn man in der Kunstsammlung NRW begonnen hat, ist es nicht so ganz einfach, sich in einem Museum Franz Gertsch in Burgdorf oder in einem Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen zurecht zu finden, sich einem ganz anderen Publikum zu stellen und mit ganz anderen Möglichkeit klarkommen zu müssen. Ich habe immer versucht, aus der jeweiligen Situation das Maximum zu machen – für das Haus und auch für mich persönlich. In Burgdorf habe ich ein Museum von der Steckdose bis zum Gehaltsgefüge, von der Lichtführung bis zum Computerprogramm einmal komplett durchgedacht. Ich habe dort mit einem Laptop in einem Hotelzimmer begonnen – jede Adresse, die wir dann zur Eröffnung verschickt haben, musste erst einmal neu gefunden werden. Das war zunächst einmal viel schwieriger als jetzt, wo ich in ein funktionierendes Haus, in einen funktionierenden Betrieb komme, bei dem ich eigentlich nur noch manche Akzente in der Ausrichtung setzen muss. Die Wahrnehmung der Arbeit wird durch die Medien oft verzerrt. Wenn die Schirn Kunsthalle in ihrem Projektraum eine kleine Ausstellung macht, ist am nächsten Tag ein großer Artikel in der FAZ darüber zu lesen. Als wir in Ludwigshafen eine große Surrealismus-Ausstellung mit mehr als 300 Werken gemacht haben, darunter zahlreiche Hauptwerke, aber eben auch ganz neue Forschungsarbeit über den tschechischen Surrealismus geleistet haben, hat die FAZ in vier Monaten Laufzeit keine einzige Zeile geschrieben. Mit der Bedeutung der Ausstellungen hat das aber gar nichts zu tun, das machen sich viele nicht immer klar. Nur weil etwas prominent in den Medien erscheint, ist es noch lange nicht von Bedeutung. Die Arbeit, die ich nun im Sprengel Museum leiste, unterscheidet sich vielleicht gar nicht so grundsätzlich von der in Ludwigshafen, nur ist die Reichweite nun eine ganz andere. Grundsätzlich sehe ich es persönlich als Gewinn an, dass ich Zeit hatte, in Ruhe und ohne auf Quoten schielen zu müssen, meine Positionen und letztlich eine Haltung entwickeln zu können. Meiner Arbeit ist es letztlich zugute gekommen, dass einem an der Peripherie nichts geschenkt wird und man immer 150% geben muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Umso mehr genieße ich es, nun in einem Umfeld mit mehr Aufmerksamkeit gegenüber unseren Aktivitäten arbeiten zu können; ich empfinde das nicht als Selbstverständlichkeit.
J.Krb.: Mitunter erweisen sich die Mitarbeiter der Museen als Kunstgeschichtler, die einen schieren Altruismus predigen und ständig die Einmaligkeit von Aura und Kontemplation betonen. Auch ist das Wach- und Kassenpersonal schon mal launenhaft. Anderenorts wird auf Lifestyle, Glamour und Event gesetzt. Ist im Sprengel Museum alles anders, was wäre eine ideale »Willkommenskultur«?
R.S.: Ich erwarte von unserem Personal Freundlichkeit, Wärme, eine wohlwollende Aufnahme und Begleitung der Besucher auch bei Unverständnis mancher künstlerischer Positionen. Jeder Besucher ist uns als Gast willkommen, und wir wollen sie oder ihn ernst nehmen und so dazu bringen, auch das Gezeigte ernst zu nehmen.