vergriffen
Portrait
Sans II, 1968, Glasfaser, Polyesterharz / Fiberglass, polyester resin, 96,5 x 218,4 x 15,6 cm, (ein Element von fünf) / 38 x 86 x 6 1/8 inches (one of five elements), Museum Wiesbaden, Foto: Ed Restle, Museum Wiesbaden, © The Estate of Eva Hesse, Courtesy Hauser & Wirth
Textauszug
Eva HesseMinimal, Postminimal, Anti-Form, Soft Sculpture, Formless, Serielle Kunst, Repetition. Gängige Schubladen, in die man Eva Hesse und ihre Kunst leichtfertig hineinstecken könnte, gibt es genügend. Und doch würde es ihrem außergewöhnlichen Werk, das sich durch seine große Offenheit gegenüber unorthodoxen Materialien und prozesshaften Formfindungen auszeichnet, kaum gerecht werden, stülpte man ihm einfach ein formelhaftes Etikett über. 75 Jahre nachdem sie die Stadt verlassen musste, widmete ihr die Hamburger Kunsthalle jetzt auf einer kompletten Etage der Galerie der Gegenwart eine umfassende Werkschau. Unter dem Titel »Eva Hesse - One More than One« versammelte die Ausstellung rund 50 Arbeiten, darunter teilweise Wand füllende Skulpturen aus sensiblen Materialien, aber auch Bodenobjekte, zahlreiche Zeichnungen aus den Serien »Grid Drawings« und »Circle Drawings« und Aquarelle.
Darüber, ob man Eva Hesses Werk eher aus dem biografischen Kontext, ihrer erzwungenen Emigration im Kindesalter und den schweren gesundheitlichen Einschränkungen, oder eher aus ihrer Nähe und gleichzeitig bewussten Distanzierung zum männlich dominierten künstlerischen Diskurs der 1960er Jahre in New York und Westdeutschland heraus lesen sollte, herrschte lange Zeit Uneinigkeit. Manche zeitgenössische Interpreten gingen sogar so weit, ihre Verwendung von Schläuchen, Fixierungen oder Verbandmaterial und ihre bisweilen an eingetrocknete gelbliche Haut erinnernden Polyesterharzoberflächen als »Evokationen von Krankheit«, so die amerikanische Kunsthistorikerin Anna C. Chave in einem Katalogbeitrag von 1992, zu interpretieren. Sie vergaßen dabei jedoch, dass das Wissen um die Krebserkrankung nur die letzten 14 Monate ihres Lebens umfasste.
Vorherrschend ist heute eine weitgehende Ausblendung des Biografischen und Sozialhistorischen zugunsten ihrer eminenten Rolle im Kontext ihrer Zeitgenossen. Eva Hesse, die auch mit anderen wichtigen Vertretern der Konzeptkunst und der Minimal Art wie Carl Andre, Dan Graham oder Robert Mangold einen engen Umgang pflegte und insbesondere mit Sol LeWitt eng befreundet war, ist heute international bekannt für ihre fragilen Skulpturen aus prekären, äußerst empfindlichen Materialien wie Latex, Polyester, Glasfasern, Papiermaché, Kordeln oder Modelliermasse. Der kühl-industriellen Materialität ihrer männlichen Künstlerkollegen setzt sie einen stärker sinnlich aufgefassten Umgang mit ihren Materialien und eine emotionale, teils rätselhafte, teils verstörende Aufladung ihrer Arbeiten entgegen. Auch wenn sie nach ihrem Tod zeitweise entsprechend vereinnahmt wurde, als feministische Künstlerin betrachtete sie sich nicht. Die Fragilität ihrer Arbeiten und deren damit vielleicht verbundene kurze Lebensdauer nahm sie in Kauf: »Life doesn’t last. Art doesn’t last«.
Die rationalen, teils rigiden Grundideen der Minimal Art hat Eva Hesse in eine sehr persönliche Zeichen- und Formensprache überführt. Prinzipien des Seriellen und der Wiederholung jedoch behält sie bei. Materialkombinationen aus harten und weichen Stoffen sind typisch für ihr Werk. So zum Beispiel die Arbeit »Accession III« von 1968, ein im Inneren von weichen Schläuchen durchwobener, von außen streng wirkender geometrischer Kubus aus Polyesterharz. Ordnung und Chaos, Härte und Formbarkeit scheinen hier miteinander zu wetteifern. Leerstellen und Aussparungen, kurz gesagt, die spürbare Anwesenheit von Abwesenheit verleihen Hesses Arbeiten etwas Beunruhigendes. »Ich wollte zur Nicht-Kunst vordringen, nicht konnotativ, nicht anthropomorph, nicht geometrisch, nicht Nichts, gleichzeitig Alles, aber von einer neuen Beschaffenheit, Qualität und Vision«, notierte sie in ihr Tagebuch.
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