vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 100
Portraits
Birgit Megerle | Michael Beutler | Luisa Kasalicky | Anselm Kiefer | Isa GenzkenInterview
Rik ReinkingPage
Tim ReineckePolemik
Roland SchappertEssay
Raimar StangeAusstellungen
»Die 10. Manifesta in St. Petersburg«Portrait
Nadira Violet, 2010,Tempera, Öl, Sprühfarbe auf Leinen, 70 x 60 cm, Courtesy Galerie Neu, Berlin
Textauszug
Birgit MegerleNoch eine »Neue Frau«? - »Nadira Violett«, 2010, blickt da aus dem Bild heraus, mit violett geschminkten Lippen und hellblau umrundeten Augen, moderner Kurzhaarfrisur und gekleidet in einem ärmellosen dunkelblauem Kleid mit einem hellbraunen vertikalen Streifen. Vor graubraunem Hintergrund steht die Porträtierte dort, durch das Bild flirren abstrakte Streifen in monochromer, grüner, gelber und violetter Farbigkeit. Ein Bild ist Megerle gelungen, dass weniger deutlich an die »Roaring twenties« anspielt, beinahe zeitlos erscheint das dargestellte Geschehen jetzt. Ein Geschehen, dass durch die abstrakten Streifen zudem weniger neusachlich realistisch ist, stattdessen seinen konstruierten ästhetischen Charakter betont. Der Blick der jungen Frau ist hier verträumter, »versunkener« wenn man so will, als bei dem oben beschriebenen Selbstporträt, was den Charakter der Einzigartigkeit »Nadiras« betont. Psychologische Interpretationen, wie man sie bei Porträts allzu gerne anstellt, aber laufen hier dennoch ins Leere, schon der zweite Teil des Titels verschiebt ja die Interpretation hin in Richtung Ästhetik, oder Mode?
Auffallend ist bei vielen Gemälden von Birgit Megerle, dass die dort Porträtierten isoliert und irgend-wie als Fremdkörper auf der Bildfläche erscheinen. Wenn sie Kontakt aufnehmen dann durch den stummen Blickkontakt zum Betrachter, im Bildraum selbst aber stehen sie etwas verloren herum. Zeugen sie so von »transzendentaler Obdachlosigkeit« (George Lukacs) – ein Terminus, der ebenfalls in den 1920er Jahren geprägt wurde! - oder stehen die gemalten Protagonisten ein für eine selbstbewusste Einzigartikeit, die sich nicht (mehr) über ihre soziale Dimension, sondern durch ihre gestylte Individualität definiert? Bemerkenswert ist, dass diese Frage in diesem Oeuvre konsequent
unbeantwortet bleibt.
»Diese Malerei ist ebenso affizierend wie analytisch, weil sie sich auf gleich mehreren Ebenen jener Erzählhaftigkeit verweigert, die sie auf den ersten Blick evoziert«, schreibt Vanessa Joan Müller über die malerischen Kompositionen von Megerle. Und sie behauptet, dass diese »keine arretierten Momente zeigen, herausgelöst aus einem größeren Handlungszusammenhang, sondern sie präsentieren sich als subtile Reflexionen über existentielle Zustände, die sich in großer Beiläufigkeit offenbaren.« Vanessa Joan Müller hat Recht: Diese Gemälde, die zuweilen an Filmstills erinnern, triggern zwar narrative Momente an – wohin etwa geht Megerle süffisant lächelnd auf dem von mir kurz beschriebenen Selbstporträt? -, lässt diese dann aber gezielt ins Leere laufen. Gleichsam sprachlos stehen die Protagonisten dann als erratische Seinsbefragungen da.
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