vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 100

Portraits

Birgit Megerle | Michael Beutler | Luisa Kasalicky | Anselm Kiefer | Isa Genzken

Polemik

Textauszug

»Halt die Klappe, wenn du über Kunst sprichst«
Machen wir uns nichts vor. Wir erleben einfach keine Kunstbedürftigkeit des Kommentars mehr.

Ich gebe zu, ich bevorzuge Frauen mit echten Nylons und teuren Handtaschen. Ich liebe das unverwechselbare Knistern und die durchgehende Transparenz. Darf man das als Mann überhaupt noch sagen? Nein, auf gar keinen Fall. Bei den teuren Handtaschen inte-ressiert mich, dass man niemals ganz genau weiß, wer sie bezahlt hat. Das erzeugt eine gewisse Aura und verhindert eine Emanzipationsblase in Zeiten fest einprogrammierter Eigenoptimierung. Selbst ist die Frau. Ihre Accessoires sind in der Regel teurer als mittelgroße Zeichnungen gestandener Künstlerpersönlichkeiten oder als das gesamte Frühwerk blutjunger, gehypter Szenesphinxen. Obwohl eine smarte Sphinx durchaus gut verdienen kann, solange ihr eine aufstrebende Metropolenschicht anhaftet. Aber warum reden Männer und Frauen ohne teure Handtaschen auch nicht mehr über Inhalte in der Kunst?

Weil der Kommentar der Kunst nicht mehr bedarf. Natürlich hat der Preis schon seit langer Zeit den Gehalt der Kunst ersetzt. Soweit nichts Neues. Aber wir sollten nun endlich die Kommentare und Anmerkungen vernichten. Dieses Restgerede. Einfach weg bitte! Abrechnen. Endlich mal richtig aufräumen. Marktpreise, Auktionsrekorde, Auszeichnungen, Stipendien, Kurtermine. Das muss raus aus den Köpfen.

Lassen wir doch endlich die Kommentare und beschreibenden Texte beiseite und ersparen uns die emsigen Erklärungsversuche sprachgewandter GaleriemitarbeiterInnen, die uns am Ende doch nur die Zeit stehlen. Man kann sich gegenwärtig immer noch mit Gehlen entscheiden: Entweder man betrachtet die gesamte Kommunikation zugehörig und damit unerlässlich zum Verständnis der Sache selbst, »die sich in zwei Strömen manifestiert, einem optischen und einem verbalen« 11; dann gehören auch die Presseerklärungen, Litaneien, Lobeshymnen und Preisverhandlungen als substantieller Bestandteil mit zur Kunst 12 – oder man speckt das Ganze wieder gehörig ab und steht eines Tages vielleicht einsam vor einem neuen Look in der Kunst.

Jetzt stellt sich noch die Frage nach dem individuellen Bedürfnis in Bezug auf Kunst. Ja, es gilt durchaus wieder einfache und prinzipielle Fragen zu stellen: Wozu überhaupt Kunst? Gehlen verwies bei seinem Versuch einer Beantwortung dieser Frage auf das außerkünstlerische Bezugssystem der Kunst: »Dieses Bezugssystem ist, wie wir wissen, die reflektierende Subjektivität, die Kunst will nicht lehren, vor Augen halten, präsentieren, nachahmen oder was sie je wollte, sondern Erlebnisse erregen, und zwar die heute allein möglichen: die sich selbst erlebenden.« 13 Die Kommentatoren und Kunstvermittler hätten es nur noch nicht verstanden und unterstellten der Kunst gerne noch ein Bezugssystem der Malerei von früher, mit den im vorherigen Zitat genannten Aspekten.

Roland Schappert