vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 100
Portraits
Birgit Megerle | Michael Beutler | Luisa Kasalicky | Anselm Kiefer | Isa GenzkenInterview
Rik ReinkingPage
Tim ReineckePolemik
Roland SchappertEssay
Raimar StangeAusstellungen
»Die 10. Manifesta in St. Petersburg«Interview
Rik Reinking, Foto: MRpro
Textauszug
Rik ReinkingJ.Krb.: Du bist 1976 in Hamburg geboren, in Oldenburg aufgewachsen, dann Studium der Rechtswissenschaft und Kunstgeschichte in Hamburg. Bereits mit 16 Jahren hast Du Dein erstes Kunstwerk erworben, eine Zeichnung von Horst Janssen. Auch Harald Falckenberg hat seine Sammlung mit Arbeiten von Janssen begonnen, sich aber später von diesen Werken getrennt. Axel Haubrok sagte mir im Interview, man muss zum Sammler geboren sein, man muss zusammentragen wollen. Thomas Olbricht betonte, Sammler und Jäger ist ein altes Menschheitsprinzip. Wie bist Du zum Sammeln gekommen, liegt es in den Genen?
R.R.: Die Frage nach der Motivation eines Sammlers ist eine sehr entscheidende Frage. Ich glaube allen voran liegt die Sammelleidenschaft weniger in den Genen, sondern immer in einem Defizit begründet. Ich vermute, dass jeder Sammler festhalten möchte. Häufig sind es doch sehr schwache und unsichere Menschen. Zweifler. Skeptiker der Wirklichkeit gegenüber. Sie benötigen das Original um sich herum, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Sich räumlich und zeitlich im Betrachten des Werkes zu verorten. Ich habe das schon sehr häufig gesagt. Vielleicht sollte ich jetzt »Verortung« tauschen gegen »sich seiner selbst als denkendes Wesen versichern«. Das Sammeln an sich liegt bei mir also nicht in meinen Genen begründet – Ich bin nicht als Sammler geboren. Natürlich habe auch ich als Kind am Strand Muscheln gesammelt. So wie jedes Kind. Und so wie jedes Kind hatte ich einen Großteil eben dieser Muscheln auf meinem Nachhauseweg bereits wieder verloren. Anhäufen und für einen kleinen Moment in der Hand halten hat für mich nichts mit sammeln zu tun. Es ist eher eine Frage der Auseinandersetzung und dieses ist ein sehr intimer Moment, der sich nicht in Worte fassen lässt.
J.Krb.: Die einen sammeln Kunst aus Eitelkeit, um im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen, die anderen erwerben und veräußern sie, um das vorgeschossene Quantum Geld zu vermehren, andere wiederum betonen, ohne Kunst mache das Leben keinen Sinn. Und Deine Motivation?
R.R.: Die Kunst macht mir das Leben erträglich, indem sie mir andere Facetten und Wege zeigt. Die Motivation, Kunst zu sammeln, ist aber natürlich eine vielschichtige. Die einen benötigen Kunst, um sich selbst zu sockeln. Die anderen verstehen sich als der Sockel, eine Art Plattform, auf der Begegnungen stattfinden, diskutiert wird und Kunst erst zu Kunst wird. Ich zähle mich eher zu letzterer Kategorie, verbunden mit einem verkappten Helfersyndrom. Was natürlich keinen Sinn macht, weil ich gar nicht in dem Maße helfen kann, wie ich gern würde, und es anmaßend wäre, zu glauben, eine Arbeit wäre bei mir besser aufgehoben als bei einem anderen. Bei mir wäre sie jedoch in einem bestimmten Kontext mit anderen Verwandten.
J.Krb.: Du kaufst Kunst und verschaffst Dir Eintritt in die Welt der Bohème, der Galerien und Museen. Steht Dir diese Welt noch offen, sofern Du keine Kunst mehr kaufst?
R.R.: Ich kaufe Kunst ohne die Tür in die Welt der Bohème aufzustoßen. Diese Unabhängigkeit wiederum verärgert manche der Teilnehmer. Ich beobachte auf dem Kunstmarkt das »Du« als Option von Nähe – damit meine ich die Tatsache, dass von vielen Protagonisten auf diesem Markt versucht wird, sehr schnell eine künstliche Nähe zu erzeugen. Diese wird dann abgerufen wann immer man mit oder bei den richtigen, den interessanten Mitstreitern steht. Ist das grad nicht der Fall – erledigt sich auch sehr schnell die Freundlichkeit ... bis zu dem Moment, in dem man wieder grüßenswert wird.
J.Krb.: Die Liste der Künstler Deiner Sammlung reicht von Carl Andre, Miroslaw Balka, Banksy, Baldur Burwitz, John Bock, Liam Gillick bis Nan Goldin, von Wulf Kirschner, Terence Koh, Barbara Kruger, Bjørn Melhus, Jonathan Monk bis Manfred Pernice, von Rolf Rose, Reiner Ruthenbeck, Santiago Sierra, Rainer Splitt bis Heiko Zahlmann, um nur einige Namen zu nennen. Ein breites Spektrum unterschiedlicher Ausdrucksweisen, Gattungen und Bekanntheitsgrade. Gibt es einen roten Faden, der sich durch die Sammlung zieht?
R.R.: Der rote Faden bin ich. Nein ehrlich – neben einem thematischen Schwerpunkt den ich eingangs erklärt habe – was soll da außer meiner selbst einwirken? Eine Sammlung ist doch auch immer ein Tagebuch. Nehmen wir die einzelnen Arbeiten also wie Einträge in mein persönliches Tagebuch. Um jetzt gleich der sich daraus ergebenden nächsten Frage vorauszueilen: Wird die Sammlung ausgestellt – wird ja immer nur ein Teil unter einem spezifischen Thema gezeigt – dabei bin nicht ICH das Thema. Subjektivität kann man also meinen Ausstellungen nicht vorwerfen. Ich beziehe ja sogar andere Sammler in meine Präsentationen mit ein und integriere gelegentlich junge Kuratoren in den Prozess der Präsentation, wie zuletzt in dem Projekt »curare« in Kooperation mit dem career center der Uni Hamburg und der KreativGesellschaft. Also erfährt die Sammlung jeweils auch immer eine von mir gewollte Korrektur des eigenen Sehens.
J.Krb.: Manche Leute haben kein Geld und wollen Kunst kaufen. Andere haben Geld und kaufen keine Kunst. Du hast Geld und kaufst Kunst, arbeitest als Berater von Sammlern und hast vor einigen Jahren eine Aktiengesellschaft gegründet, die Kunst kauft und später wieder verkauft. Zum einen lässt Du Dich auf die Mechanismen des Kunstmarktes ein, um ökonomisch erfolgreich zu sein. Zum anderen schmunzelst Du über horrende Auktionspreise und sprichst vom »dummen Geld«, das im Kunstbetrieb unterwegs sei. Hier ein begrüßenswerter Altruismus – dort mit zwei Beinen mitten im Kunstmarkt. Kann man das alles so locker voneinander trennen?
R.R.: Ich stehe ganz sicher mit beiden Beinen in dem Kunstmarkt. Ich lebe schließlich von ihm. Bestseller an sich zu sein ist für mich aber kein Kriterium. Ich kann sogar die eine oder andere Entwicklung auf den Märkten unterschreiben. Andere Ausreißer aber wiederum nicht. Meine Position kann ich dann aber jeweils benennen und erklären und tue das auch.
J.Krb.: Nicht jeder Sammler bekommt das, was er will. Galerien und auch Künstler verkaufen strategisch. Nur der wichtigste Sammler, nur das wichtigste Museum zählt, die anderen schauen in die Röhre. Die einen Sammler werden hofiert und jetten auf Kosten der Galerien und Kunstmessen rund um die Welt von Kunstereignis zu Kunstereignis. Andere müssen sich in Wartelisten eintragen oder kommen erst gar nicht zum Zuge. Wirst Du bevorzugt behandelt oder bezahlst Du Dein Ticket selbst?
R.R.: Ja, natürlich werde ich eingeladen und auch in einem gewissen Rahmen bevorzugt behandelt, was aber nicht heißt, dass ich das dann auch zwingend annehme. Ich lehne sogar sehr viel ab, gerade weil ich unabhängig bleiben möchte und keine falschen Erwartungen und/oder Hoffnungen wecken möchte. Die Sammlung hat einen relativ großen Bekanntheitsgrad. Ich habe also bei meiner Auswahl einen gewissen Vorteil. Aber dieser ist ja nicht mir persönlich zuzuschreiben, weil ich ein so netter Kerl bin, sondern der ist schlicht über die Zeit hinweg erarbeitet. Wie ich das finde? Nur nachvollziehbar. Es gehört doch zu einer verantwortungsbewussten Betreuung eines Künstlers durch die Galerie, nicht einfach nur zu verkaufen sondern auch zu platzieren. Wenn der Künstler bzw. die Galerie das große Glück hat, sich aussuchen zu können, an wen sie verkauft – warum nicht – das ist nur gut und richtig so! Wenn es allerdings künstlich verknappt wird und der Künstler darunter leidet, ist es nur dumm und eitel.
J.Krb.: Deine Sammlung umfasst auch Artefakte und Kultobjekte aus Afrika, Ozeanien und Amerika, die Bestandteil verschiedener Ausstellungen waren. Sei es »Poesia« in der Städtischen Galerie Delmenhorst (2013), sei es in der Ausstellung »Existenzielle Bildwelten« in der Weserburg (2014), sei es im Völkerkundemuseum Hamburg »Beyond Melancholia« (2014). Was macht für Dich die Faszination dieser Objekte wie Kriegsschilder, Masken, Tanzkostüme, Ahnenschädel oder Muschelgeld aus?
R.R.: Ich finde in diesen Objekten etwas Authentisches, was ich in der zeitgenössischen Kunst manchmal vermisse. Dort werden zunehmend und immer lauter Behauptungen aufgestellt. Der Sinn und die Notwendigkeit wird dabei häufig schon gar nicht mehr hinterfragt. In den Artefakten hingegen besticht allein schon die in die Objekte eingeschriebene Zeit. Sie hatten von Beginn an eine Aufgabe, und es gab ein Bedürfnis, eine innere Notwendigkeit, sie zu erschaffen und zu beseelen. Diese geschaffenen Werte wurden dann von Generation zu Generation weitergereicht – nicht zuletzt um in Verbindung zu bleiben mit den Ahnen. Dieses zeigt uns wieder einmal, wie wichtig die zeitliche Komponente im Beurteilen von Werten ist.
J.Krb.: Für die Museen scheinen in Zeiten knapper werdender Mittel die Sammler wichtiger und wichtiger zu werden. In Bremen hat man aus dieser Situation schon früh die Konsequenz gezogen und 1991 wurde die Weserburg als Museum neuen Typs eröffnet. Das Museum wurde bestückt mit Dauerleihgaben von Privatsammlern zum Nulltarif. Leider steht die Zukunft des Kunst-Standortes Teerhof in Bremen zur Disposition. Dort haben ebenfalls die Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) und das Zentrum für Künstlerpublikationen ihr Domizil. Derzeit werden zwei Alternativen geprüft. Zum einen die Sanierung des bisherigen Gebäudes auf dem Teerhof, zum anderen ein Neubau in räumlicher Nähe zur Kunsthalle in den Wallanlagen. Wie beurteilst Du diese Standortdebatte in Bremen?
R.R.: Ich finde es offen gesagt ein sehr schwaches Bild, denn eine Stadt wie Bremen sollte es sich doch leisten können, den Teerhof als vielschichtigen Kunststandort zu erhalten. Der einzigartige Standort, das wunderbare Haus und sein intelligentes zukunftsfähiges Konzept sind sicher nicht das Problem. Das Problem liegt vielleicht darin, dass inzwischen eine Generation von Politikern herangewachsen ist, die ohne wirkliche kulturelle Prägung groß geworden ist. Was man nicht wirklich kennt das vermisst man dann natürlich auch nicht. Der Schaden, der der Gesellschaft und nachwachsenden Generationen dabei entsteht, ist aber ein immenser und nur ein weiterer Baustein des Werteverfalls und einer zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche.