vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 59
Portraits
Isa Melsheimer | Santiago Sierra | Meuser | The Atlas Group / Walid Raad | Carol Bove | Diana ThaterInterview
Bernd F. KünnePage
Marcel van EedenPolemik
Hans-Jürgen HafnerKünstlerbeilage
Horst MüllerEdition
Rupprecht MatthiesPortrait
300 Tonnen, 300 Tons, 2004, Kunsthaus Bregenz, 3.4. bis 23.5.2004, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, 2. OG, © Santiago Sierra, KUB
Textauszug
Santiago SierraDas bösartige Zurschaustellen vom egoistischen Ausnutzen, Marginalisieren und Funktionalisieren von Menschen findet sich in Santiago Sierras noch jungem Oeuvre immer wieder. Da werden zum Beispiel von ihm »zehn Personen dafür bezahlt, zu masturbieren« (2000), da wird im selben Jahr ein Mensch »für 360 Stunden kontinuierlicher Arbeit bezahlt«, oder es wird »auf vier Personen eine 160 cm lange Linie tätowiert«. Stets werden diese spektakulären Aktionen dann später auf schlichten schwarz-weiß Photos dokumentiert.
Dieses ästhetische Dilemma der Minimal Art dreht Santiago Sierra nun um und nutzt diesen Widerspruch als ausdrucksvoll-narrative Qualität für seine künstlerische Arbeit. So jetzt im Kunsthaus Bregenz, wo er in der dritten Stock »das Haus mit 300 Tonnen belastet und die gleichzeitig zugelassenen Personen auf 100 begrenzt«, wie die Pressemeldung verrät. Dazu werden aus 14.600 Betonsteinen 14 trocken gemauerte Kuben mit einer Gesamtfläche von 3 x 3 Metern und einer Höhe von 3,3 Metern in der Etage platziert. Das Baumaterial würde reichen, etwa vier durchschnittlich große Einfamilien- häuser zu bauen. Der Künstler setzt so nach präzisen statistischen Berechnungen das Kunsthaus Bregenz ganz konkret einer Belastungsprobe aus, die die Existenz der Architektur zu gefährden vermag. Je mehr Besucher sich im Kunstraum aufhalten, umso gefährlicher wird es dann.(1) Um auf Nummer sicher zu gehen, wurden daher alle Stockwerke des Hauses zusätzlich mit jeweils 15 vertikalen Baustützen verstärkt. Mit dieser Ausstellung gewinnt Sierras Werk kunstkritische Züge, führt er doch in situ die Gigantomanie vor, die in Ausstellungshäusern wie das Kunsthaus Bregenz seit Jahren den publikums-trächtigen Ton angeben. Und er unterläuft diese Gigantomie, indem er die Besucherzahl höchst unökonomisch einschränkt. Santiago Sierra kann eben nicht nur Böses sagen, sondern er kann auch Böses tun.
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